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Marie E. Schmitt
Autobiographischer Roman
ISBN 978-3-943446-78-4
Preis: € 25,- D/A/CH
516 Seiten
Erscheinungsdatum: 28.2.2025
Lagerbaracken in den Westghats bei Poona in Indien, das Internierungslager, in dem die Missionarsfamilie nach Jahren der Trennung zusammenkommt. Hier wächst die Tochter des Missionars mit ihrem größeren Bruder auf. 1946 die zwangsweise Repatriierung: Erst Hamburg, dann die zerbombte Großstadt Hannover, Spiele auf Trümmerfeldern. Drei weitere Brüder kommen dazu. Immer wieder Umzüge zu neuen Dienststellen des Vaters. Maries Lebenslust erwacht auf der ersten Reise mit der Freundin in Griechenland. Das Ausbrechen in den Süden, Griechenland und Frankreich, wird ihr weiteres Leben bestimmen.
Der heiße Sommer 1967, Studentenunruhen an den Universitäten, ein Student wird erschossen…In diesem Sommer in der Landkommune wächst Maries große Liebe, ein Familienskandal. Sie ist an einem Wendepunkt ihres Lebens angelangt, Politisierung beginnt.
Die erwachsene Tochter holt die Bilder aus dem „Schacht der Erinnerung“ hervor und verfolgt die Frage, was es auf sich hat mit dem Tropeninstitut, dem Wasserbecken und den sich spiegelnden Wolken. Sie sichtet die Briefe der Eltern, sucht Dokumente und findet Tagebücher der Vorfahren.
Leseprobe
Wieder ein Amtssitz: das siebte Elternhaus
Zunächst begann eine festliche Zeit. Jetzt, da die Dinge diesen Verlauf genommen hatten, wurde alles anders. Mein Liebster nahm mich in die Arme und sagte: Komm, agapi mou, lass uns feiern, alles ist gut jetzt.
Vorsichtig, scheu, nein, gelassen taten wir endlich das einzig Richtige, wir liebten uns. Es war das Einfachste und Normalste von der Welt.
Hinterm Deich pfiff der Wind, wir fühlten uns festlich und frei. Wir verließen unser Zimmer nicht mehr, sprachen miteinander und planten, holten erste Erkundigungen ein. Ich hatte plötzlich großen Appetit auf Äpfel und glaubte auch, jetzt immer schlafen zu müssen. Aber wir lernten gemeinsam für die Examensprüfungen, die im Dezember stattfinden sollten. Das Leben war wieder aufregend schön.
Wir machten dort weiter, wo wir im Sommer aufgehört hatten. Jetzt hatten wir Liebesnächte, doppelt und dreifach. Vom ersten Moment an waren wir zu dritt. Dieses Geschenk machte schließlich im November auf sich aufmerksam, es wurde Zeit, dass ich es beschützte.
Ja, irgendwie wussten wir es beide, es hatte diese Sommernacht gegeben. Das kam nicht en passant, nicht aus einer Stimmung heraus, nein, diesen Schritt hatten wir besprochen, es war ernsthaft, vielleicht angestrengt. Blöderweise hatte es wehgetan, dann hatte es noch geblutet. Wie die Kinder erschraken wir und ließen die Finger davon. Das war dann wohl der letzte Sommer der Kindheit gewesen.
Jetzt, im November, war alles sonnenklar und leicht. Wir hatten allerglücklichste Tage und Nächte.
Der große Bruder, die anderen, die mit uns zusammenlebten – niemand, wirklich niemand, musste davon etwas wissen.
So war es gelaufen. Meine Erinnerung aber hatte sich bei einem anderen Bild festgehakt. Im Vordergrund, am oberen Ende des Schachtes, trug ich über die Jahre immer dieses Bild vom Deich mit mir herum: das Mädchen, das lostobt, noch am Abend desselben Tages, an jenem stürmischen Abend, allein über den Deich, um rasch dieses eine noch hinter sich zu bringen; das Mädchen, dem als Erstes eingefallen ist, dass man sofort die Mutter anrufen müsste.
Aber so war es nicht, ich habe nachgelesen, nachgeforscht, und ich freue mich, dass ich im Wust der Kartons diese dünnen Hefte wiedergefunden habe. Die entwerfen etwas anderes.
Ich schob alles beiseite, wir blieben einfach in unserem Bauernhaus. Wir versteckten uns regelrecht, sprachen mit niemandem darüber, niemanden ging das etwas an. Es ging nur noch um uns beide, darauf bestanden wir – so einfach war das.
Erzähl doch mal von der Ärztin, was hat die denn gesagt, fragte mein Liebster, und dann musste ich erzählen, er hatte ja gesehen, dass ich geweint hatte. Aber nein, mit einem Schwung setzte ich mich neben ihn ins Auto, lachte und rief: Los, fahr los, alles ist herrlich, ich bin gesund, ich erzähle dir alles.
Es war gar nicht meine Ärztin. Ich war unglücklich, dass es nicht die stille und vernünftige Frau war, die ich gern mochte, weil sie ohne viele Worte machte, was nötig war, aber die war nun mal weg und ich musste diese forsche, dicke Frau ertragen, eigentlich eine Tierärztin! Nach der Untersuchung musste sie erst noch in aller Ruhe mit dem Verwalter ihrer Pferderanch in Spanien plaudern. Als sie sich mir wieder zuwandte, sagte sie: Sie sind in der zehnten Woche, herzlichen Glückwunsch, und sofort folgte die verwirrende Frage. Einfach so, umstandslos, fragte sie mich als Erstes nicht, wie es mir ginge, sagte nicht, was ich jetzt zu beachten hätte oder so ähnlich, nein, sie fragte, gegen wen ich mich denn nun verheiraten würde. Das war doch übergriffig, unmöglich, das ging sie nichts an, aber sie fragte nach dem Namen des Vaters, schob mir Tempotaschentücher und eine Tafel Schokolade über den Schreibtisch und meinte, das sei doch alles kein Problem – oder? Ich müsse nicht weinen. Aber ich war überwältigt, und ich nannte den Namen, und dann durfte ich gehen. Und als ich draußen war, war alles gut …
Es blieb aber nicht so. Warum eigentlich nicht, warum um alles in der Welt konnte es nicht so bleiben?
Ich sprach schließlich mit Hans, dem erzählte ich alles, und der war es, der aussprach, was ich auch wusste: Hast du Mutter schon angerufen? Das musst du jetzt tun. Warum stand mir das bevor? Warum gab es jetzt noch etwas, das mir Angst machte?
Erst viele Tage später machte ich mich auf diesen Weg.
Sturm jagte über den Deich, trieb die Wolken über die unruhig schwappenden Wassermassen der Elbe, ich stemmte mich mit aller Kraft dagegen und überlegte, was nun kommen würde, ich wollte es schnell hinter mich bringen, sie würde sich bestimmt auch freuen. Ich trat in die Telefonzelle, wählte die Nummer, ich hörte ihre Stimme und sagte: Mutter, ich muss dir was sagen. Ich bekomme ein Kind. – Ach, mein Kind, was tust du uns an? rief sie ins Telefon. – Wieso denn das, das ist doch was Schönes! – Warst du bei der Ärztin? – Klar, warum fragst du das? Sie hat mir gratuliert und mir alles Gute gewünscht, ich bin in der zehnten Woche. – Du musst sofort nach Hause kommen. – Im Moment passt es nicht, wir lernen, wir wollen allein bleiben. – Das kommt gar nicht in Frage, was denkst du dir eigentlich? Sprach‘s zu ihrer erwachsenen Tochter, und die hängte ein.
Etwas Fremdes machte sich breit, etwas, das nichts mit dem glücklichen Aufruhr zu tun hatte, den wir beide gerade erlebten.
Die Mutter kam und holte mich regelrecht raus.
Sie hatte ihre Schwester im Schwarzwald besucht. Jetzt kam sie in Begleitung ihrer Freundin bei uns an, meine Patentante setzte sie bei uns ab und fuhr weiter. Die Mutter saß in unserer Küche, es war schon spät am Abend, wir hätten ihr ja nun gern etwas erklären und es uns gemütlich machen können an diesem Winterabend, aber nein! Sie genoss die Rolle, hörte nicht hin, stand auf und sagte: Jetzt fahren wir zusammen nach Hause, Vater will mit euch reden. – Wie bitte, jetzt noch? So spät? Warum geht das nicht morgen? Ich möchte schlafen gehen, wandte ich ein. Aber darum ging es nicht. Um was es jetzt zu gehen hatte, das entschied sie: Nein, wir fahren jetzt. Ihr gehört alle beide nach Hause.
Am nächsten Morgen, Harald und Oluf waren leider schon in der Schule, niemand da, um die Stimmung zu prüfen. Wir kamen vom Frühstück im Esszimmer, da trat mir der Vater im Flur entgegen, und ich hatte noch den Eindruck, dass er schmunzelte, als ich ihn begrüßte. Oder war ihm die Situation peinlich? Nein, sie war ernst. Augenblicklich wurden wir aufgefordert, in sein Amtszimmer zu kommen. Der Vater nahm am Schreibtisch Platz, wir saßen ihm gegenüber, zwischen ihm und uns Akten, Aschenbecher, Zigarren-kasten, Kerzen und Kreuz. Er holte aus, im bekannten strafenden Ton: Wisst ihr überhaupt, was ihr getan habt?
Nein, wissen wir nicht, dachte ich, wir lieben uns, wir wollen nichts gegen die Eltern tun.
Schweigen. Peinliche Stille.
Wenn‘s das gewesen wäre, nein, der Vater nahm die andere Stimme an, die tiefe, drohende − dabei ist doch nichts Böses, eher was Wunderbares geschehen, rief ich ihm innerlich zu −, und sprach: Die Ehe ist ein Sakrament, die wird vor Gott geschlossen, das habt ihr nun ganz allein gemacht. Deswegen seid ihr schuldig geworden, ihr habt eigenmächtig gehandelt, falsch und vorschnell, das ist eine Verfehlung vor Gott, da tut Vergebung not.
Die göttliche Macht also. Konnte er befehlen, was wir zu glauben hatten? Das Gebet, er zog es durch, gnadenlos, dann nahm er mit geübtem Griff die Zigarre wieder auf, zündete die Streichholzflamme, paffte eine süße Wolke über den Schreibtisch und wandte sich den irdischen Fragen zu. Weißt du, Helmut, dies ist meine Tochter, sie ist mein Ein und Alles, kannst du überhaupt für sie sorgen? Bist du bereit und überhaupt schon in der Lage, Verantwortung zu übernehmen, weißt du eigentlich, was da auf dich zukommt?
Wir sagten nichts. Diesem strengen Blick ausgesetzt, fiel mir nichts ein.
Wie vernagelt der Kopf, und um uns herum die wabernden Rauch-wolken, süß und benebelnd, ich dachte noch, dass ich diesen Geruch eigentlich liebte, na ja, tat hier nichts zur Sache. Er redete von Verantwortung und Sitte und Aufgabe, es helfe nur, dass die Bitte um Vergebung ausgesprochen werde und die um Gottes Beistand, das sei jetzt unsere Aufgabe. Ich wusste immer noch nicht, was wir Böses getan hatten.
Der Vater senkte die Stimme, die Amtstätigkeit war beendet, er stand auf, öffnete die Tür zum Flur und rief zärtlich und sonor zur Küche hinüber: Mutterchen, komm mal her.
Erst heute, da ich wieder und wieder darüber nachdenke, in was wir da hineingezwungen wurden, was wir alles über uns ergehen lassen mussten, fällt mir auf, dass die Mutter bei diesem Gespräch nicht dabei war. Da war sie wieder, diese Arbeitsteilung. Der Vater musste die Rolle des Strafens übernehmen, und wenn das erledigt war, konnte sie mit ihrer tätigen Hilfe loslegen, dann war auch wieder alles gut. War das so? Ja, ich spürte damals ihre Erleichterung, für sie war nun etwas geschafft. Jetzt war sie an der Reihe. Der Ton schwang hoch, als sie sagte: So, Kinder, jetzt feiern wir die Verlobung, nehmt doch Platz, ich habe ein schönes Mittagessen gekocht …
Überrascht schauten wir sie an. Wir wären nicht darauf gekommen, aber das war die gültige Definition der Eltern, dass wir an diesem Tag Verlobung feierten. Was war denn eigentlich eine Verlobung, warum gab es diese Sitte? Was war den Eltern daran so wichtig?
Festlich gestimmt, in fröhlichem Ton erklärte uns Mutter beim Mittagessen, wie es weiterzugehen hatte: Am besten, ihr geht sofort zum Standesamt, vielleicht schon nächste Woche die standesamtliche Trauung? Sie sah fragend zu Helle hinüber. Meinst du, dass du das hinkriegen kannst, vielleicht in Volksdorf, da wohnt ja deine Mutter, das macht ihr allein und ladet deine Mutter dazu ein?
Der Helle wusste zwar noch gar nichts, und was „der Fiete“ – so sollte er meinen Vater jetzt nennen – da gerade mit ihm gemacht hatte – zusammengefaltet und sprachlos war er. Und zuckte zusammen. Aber natürlich, ja, das machen wir so, sagte er. Er gab sich einen Ruck, sah mich an und nahm unter dem Tisch meine Hand in seine.
Am Polterabend gibt es einen großen Empfang für das Kirchenamt, die Kollegen von Vater, die Pröbste und Bischöfe mit ihren Frauen, da werden wir dann etwa hundert Gäste haben, dann die Hochzeit, am besten in den Tagen nach Weihnachten, da sind wir unter uns, nur die beiden Familien und eure Freunde, in den Tagen haben ja alle Zeit. Wenn wir uns alle Mühe geben, dann wird es gehen, sagte die Mutter mit dramatisch getragener, zuversichtlicher Stimme, so als könnte sie mit diesem Programm einen guten Verlauf heraufbeschwören.
Was war dieses „es“ eigentlich?
Zum Schluss, wieder in geschäftig entschiedenem Ton, so ganz nebenbei die nächste Regieanweisung: Von dem anderen reden wir natürlich nicht, das hat Zeit.
Unser Leben in Moorfleet, was wir dachten und vorhatten, niemand fragte danach, niemand interessierte sich für unsere Interessen. Helle beendete die Veranstaltung, erhob sich, nahm mich an die Hand und brachte uns nach Hause, in das Haus hinterm Deich.
Wir saßen in der Küche, tranken Tee und lauschten nach draußen, der Wind pfiff ums Haus, wir waren müde, erleichtert, wieder zu Hause zu sein, und trotzdem voller Unruhe:
Was war denn das? Kannst du begreifen, was da abgelaufen ist?
Ja, das war, ich weiß nicht, sagte Helle, das war ein Bußgang, und dann haben deine Eltern so was wie Verlobung inszeniert, das ist doch ein Witz, oder? Sie haben die augenblickliche standesamtliche Trauung angeordnet, sie diktieren uns, wie alles der Reihe nach zu gehen hat, wann und wo!
Weißt du, was mich richtig ärgert? Nichts von dem, was wir wirklich bewältigen müssen, ist für die wichtig, unsere Examensvorberei-tungen, meine Übelkeit, die Erschöpfung, Termine in der Uni, nein, das Wichtigste ist jetzt, dass die Normalität abläuft, die Ämter, müssen denn wirklich die Vorschriften vorrangig sein?
Was war geschehen? Zum ersten Mal bange Fragen. So lange ging das schon, dachte ich, man kann es gar nicht fassen, Drei Monate bin ich herumgelaufen und habe alles so weiter gemacht wie sonst, ich wusste nichts und konnte nichts beschützen. Dieser Nachmittag zum Beispiel, als wir das Boot hatten retten müssen. Weißt du noch, wann das war, vor drei Wochen, oder ist das schon vier Wochen her? Da habe ich im Wasser gestanden und das Boot hochgezogen und geschoben, wir mussten es doch unbedingt retten, weißt du das noch? Du warst in der Stadt. Knietief habe ich im Wasser gestanden, eine, zwei Stunden? Heißen Tee mit Rum habe ich getrunken, eine Tasse und viel mehr. Das darf man doch gar nicht, die Gedanken setzten sich fest und trieben mich um.
Ja, jetzt wissen wir das, Helle nahm mich in die Arme. Du bist stark, wir sind glücklich, was soll sein?
Was hatte ich schon alles falsch gemacht in den letzten Wochen,
nein: Monaten! Helle beruhigte uns, wir müssten vielleicht mit einem
Arzt sprechen. Ja, ich könnte Hans fragen.
Nein, ich war gar nicht beruhigt, ich rang um Fassung, wir waren doch gerade noch so glücklich zusammen gewesen, überwältigt von dem neuen Zustand, endlich zusammen zu sein, Liebe zu haben! Ein Kind zu bekommen! Warum hatten wir rausgemusst aus unserem sicheren Haus, die Familie aufsuchen und dort Meldung machen? Damit waren wir eingefangen, jetzt bestimmten die Eltern, woran wir uns zu halten hatten!
Natürlich wollten wir heiraten, schon vor Jahren hatten wir darüber gesprochen. Aber das eilte doch nicht!
Erst mal alles überdenken, gerade jetzt, wo die Veränderungen so bewegend waren und voll Freude, irgendwann, nach dem Examen vielleicht. Wir würden das beschließen, das war unsere Sache!
Aber nein, jetzt entschieden die Eltern, die öffentlichen Institu-tionen, so sah die Wirklichkeit aus.
Schon bei der Ärztin: Die hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als in einem Atemzug mit der Diagnose von Eheschließung zu sprechen. Was beunruhigte diese Leute?
Warum diese Verpflichtung auf das Einhalten der richtigen Reihen-folge, so wie Sitte und Glaube es verlangten. Wir ‚mussten‘ augen-blicklich heiraten, das war die Tatsache, die alles durcheinander-brachte. Wir ‚mussten‘ zu den Ämtern rasen, zum Standesamt, zu den Behörden, in die Läden.
Ich wollte aufbegehren, mindestens um Nachsicht bitten für unsere Lage, das Examen, die Übelkeit, aber ich wagte keinen Einspruch.
Wir fuhren nach Volksdorf und bestellten das Aufgebot. Urkunden, Geburtsurkunde, der Standesbeamte konnte nicht erkennen, ob der Vater nun einen Doktor hatte oder was das denn war, ein ‚Licentiat‘ der Theologie, so stand es da fremdländisch in der Geburtsurkunde aus Indien. Ich schrieb dem Vater und bat ihn, dass er bitte selbst dem Standesbeamten erklären solle, was er in Indien gewesen sei, ich könne das ja nicht wissen. Wir kauften einen schwarzen Anzug und ein schwarzes Jackenkleid, die Mutter hatte mir viel Geld mitgegeben. Wir kauften Ringe, ob wir daran gedacht hätten, hatte Helles Mutter beim Mittagessen gefragt. Nein, haben wir nicht, können wir ja gleich noch machen, hatte Helle geantwortet.
Wir machten alles, was man uns auftrug. Verrückterweise wurde uns Schritt für Schritt Richtung Hochzeit immer feierlicher zumute, auf einmal musste alles eine besondere Bedeutung haben. Als wir im Juwelierladen standen und das rote Samtkissen betrachteten, in dem die Ringe steckten, da kam so ein Gefühl, dass etwas Besonderes geschah. Ringe waren etwas Schönes, wir schenkten uns Ringe, das hatten wir noch nie gemacht, aber war das nicht etwas übertrieben, sich jetzt plötzlich teure Ringe zu kaufen? Es kam mir seltsam vor, als führten wir ein Theaterstück auf, als würden wir die Handlung nur inszenieren. Ach was, jetzt rasch durch, es würde ja demnächst alles wieder normal werden, beruhigten wir uns gegenseitig.
Wir holten die Ringe ab und steckten sie einander zu Hause an, so machte man das jetzt ja wohl oder erst zur Hochzeit – oder was? Und da passierte dieses Stolpern – dass ich das alles gar nicht fassen konnte. Es ging so unfassbar schnell. Das Gefühl, das mit diesen Sachen verbunden sein sollte, irgendwie machte es sich breit. Es blieb nicht aus, die Dinge entfalteten ihre eigene Wirkkraft. Ich wollte nicht weinen, nein, wir wollten doch glücklich sein und etwas feiern, also bereiteten wir am nächsten Tag ein festliches Essen zu. Es gab Wein, wir feierten in unserer Kommune. Eine Woche ist es erst her, stellte ich beim Nachzählen fest und schrieb später in meine Kladde: Vielleicht liegt es an unserem Kind, dass ich immer gleich weinen muss. Unsinn, ich hatte in den ersten Tagen kein bisschen weinen müssen …
Dann fuhren wir wieder los, zuerst nach Volksdorf. Zur standes-amtlichen Trauung trug ich das schwarze Jackenkleid, es war eng und betonte die Figur. Schick sah ich aus, dem Ernst der Lage war das angemessen, mein Liebster verkleidete sich ebenfalls tiefschwarz. Wo denn die Ringe seien, fragte der Standesbeamte, da sagten wir: Hier, gucken Sie mal, und hielten unsere Ringfinger hoch. Ihm fehlten die Worte.
Ich wurde an diesem Tag vierundzwanzig, aber wir feierten nicht wie geplant in Moorfleet, es war der offizielle Beginn unserer Ehe, das hatten wir schon mal hingekriegt. Die Eltern waren zufrieden, und deswegen sollten wir gleich nach der Trauung mit der „Mutti“ von Helle und den beiden Trauzeugen nach Kiel fahren, in zwei Autos, die Mutter hatte ein feines Essen gemacht. Es sei doch eine gute Gelegenheit, dass sich die beiden Familien kennenlernten, hatte sie erklärt. Abends fuhr ein Auto zurück, wir blieben. Für den nächsten Tag hatte die Mutter den Kauf des Hochzeitskleides geplant. Es werde ganz schnell gehen, sie habe sich schon einiges angesehen und eine Vorauswahl getroffen.
In dem großen, schicken Modehaus in Kiel schlug ich alle Kleider, die Mutter ausgesucht hatte, aus, sah mich entzückt um und suchte nach langen, weit geschnittenen, flatternd jungen und unkapriziösen Hochzeitskleidern. Ich wollte schön aussehen, wenn schon, denn schon. Rasch zog ich mich um, legte Festroben an, führte vor, drehte mich vor dem Spiegel und genoss die neue Rolle. Festliches Empfinden stellte sich ein, noch mehr das Entzücken, hübsch auszusehen beim Verkleiden. Überhaupt die Kleider! Ich hatte nichts zu verbergen, ich war in fröhlicher Stimmung, im Prinzip war jetzt doch alles geschafft, wir konnten ein richtig großes Fest feiern, warum denn nicht, es konnte ein dreifaches Liebesfest werden …
Schick sollte es also sein, mit Musik, Tanz und langen Abendkleidern. – Wie bitte? Alle in langen Kleidern? hatte die Mutti beim Mittagessen gefragt. – Ja, das ist doch schön, wenn schon große Hochzeit ist, dann sollt ihr alle richtig schön ankommen! Wenn es denn schon so sein sollte, Öffentlichkeit, große Hochzeit, große Kirche und viele Menschen, denen wir vorgeführt werden sollten, da musste alles stimmen.
Weitere Kleider wurden gekauft, Schwiegermutter, Schwägerin, was alles plötzlich zur Verwandtschaft wurde und mitdiskutierte, sie war geradezu unheimlich, die Zugkraft so einer Eheschließung. Aber es gelang mit allseitigem Bemühen so gut, dass die Mutter in ihren Kalender notierte: So vieles besprochen, wir sind uns näher gerückt denn je. Alle Vorschläge werden dankbar angenommen.