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Erzählungen aus dem Midi von Astrid Schmeda, enthalten sind 20 farbige Fotografien der Autorin.

Der Midi bezeichnet den Süden Frankreichs und bedeutet im Französischen gleichzeitig Mittag. Die Geschichten sind aus der Perspektive der Ich-Erzählerin Lotta geschrieben, die mit Clemens und ihrem Sohn Ihmo in einem kleinen Dorf zwischen Avignon und dem Pont du Gard lebt. Ihre Begegnungen mit Menschen verschiedener Herkunft sind geprägt von ihrer Neugierde auf das Fremde, auf Geschichte und Geschichten. Der Jugendliche Ihmo ist in unmittelbarer Weise mit den Problematiken einer ihm fremden Gesellschaft konfrontiert. Das Hauptinteresse der Erzählerin gilt den unterschiedlichen Kulturen, die sich im Süden Frankreichs begegnen, und der deutsch-französischen Vergangenheit, auf die eine Deutsche unweigerlich in Frankreich trifft. Viele der Menschen, die uns in den Erzählungen begegnen, laufen barfuß: synonym für Armut, für eine andere Kultur, die Hitze des Südens, für den Kontakt zum Boden.

ISBN 978-3-943446-02-9
ca. 168 Seiten
17,90 €
Edition Contra-Bass

 

Leseprobe

Der Fremdenlegionär

Sein Gesicht schien mir bekannt. Es war mir vielleicht schon einmal aufgefallen unter den anderen Clochards in Remoulins, die jeden Tag auf einer Bank sitzen. Ein dunkelbraunes, gegerbtes Gesicht, mit tausend Fältchen. Ich könnte nicht sagen, ob er alt war oder nicht.
Er tippte mir auf die Schulter:
– Sie können Ihren Wagen so stehen lassen, er ist schlecht geparkt, aber ich werde darauf aufpassen. Cuxhaven. Ich habe Ihr Auto schon öfter beobachtet.
Nachdem ich meinen Widerwillen beiseite geschoben hatte, bemerkte ich, dass er mit mir auf deutsch sprach. Ein norddeutscher Akzent mit einer französischen Melodie. Ich nickte ihm zu, ich wollte mich nicht hineinziehen lassen in ein Gespräch.

Ich stand Schlange vor einem Geldautomaten. Remoulins ist ein Dorf ohne Charme, das Zentrum wird von der Nationalstraße durchschnitten und vom Lärm der großen Laster betäubt, die auf der Durchfahrt nach Spanien sind. Ein Café du Nord, ein Hotel Moderne, wie überall. Für mich war es der Geldautomat, weshalb ich manchmal hier anhielt.

Der Clochard redete auf mich ein.
– Cuxhaven! Das war der Hafen, in dem ich mein erstes Schiff nahm, ich war vierzehn Jahre alt.
Seine Erinnerungen veränderten sein Gesicht. Ich sah den kleinen Jungen, der seine Mutter verließ, um die Welt zu erobern.
– Ich habe die Städte brennen sehen, Hamburg, Bremen …
In meiner Kindheit herrschte der Krieg. Danach kam der Hunger. Als Schiffsjunge half ich in der Kombüse. Wir hatten immer genug zu essen.
Er schenkte mir ein breites, zahnloses Grinsen.
– Ob ich die Welt gesehen habe? Ich habe alles gesehen. Kapstadt, Calcutta, Hongkong. Ich kenne alle Rassen. Man kann mir nichts erzählen. Ich bin kein Rassist, Madame, glauben Sie mir. Ich bin kein Rassist!
Er kam näher. Er hatte die letzten Sätze eindringlich gesprochen, die fehlenden Vorderzähne machten es ihm schwer, das S zu bewältigen.
Ich vergaß, warum ich hier wartete. Er nahm mich gefangen, aber ich versuchte noch, ihm meine Aufmerksamkeit nicht zu zeigen.
Er stand nahe vor mir, von Zeit zu Zeit berührte er meinen Arm, um einen Satz zu unterstreichen. Er war klein und kräftig. Unter den bis auf den Boden reichenden Hosenbeinen schauten seine nackten Füße hervor.
– Später haben sie mich für die Fremdenlegion geworben. Es war nicht, weil ich den Krieg wollte, Madame, dass ich mitging. Es war wegen des Geldes. Ich hatte eine Frau. Eine Französin. Ich hatte sie in Marseille kennen gelernt. Wir lebten in Algerien. Eine schöne Frau, Madame, Sie kennen ja die französischen Frauen!
Für einen Moment wurde unter der Maske des Clochards der Mann sichtbar, der er früher einmal war.
– Der Krieg in Algerien war ein schmutziger Krieg.
Er schwieg einen Moment, und seine Augen flackerten.
– Madame, wenn zwei Männer sich streiten, schlagen sie sich, das ist normal. Aber wenn sie eine Auseinandersetzung haben, zum Beispiel in einer Bar, was müssen sie zuerst tun?
Er ließ mir eine Pause, um nachzudenken.
– Sie müssen die Frauen nach draußen schicken. Das ist eine Sache zwischen Männern. Warum haben die Algerier die Frauen mit hinein gezogen?
Er kam noch etwas näher und senkte die Stimme.
– Ich hatte zwei kleine Mädchen, Zwillinge, zwei Jahre alt. Alle drei sind… Er machte eine bezeichnende Geste an seiner Gurgel entlang.
Erschrocken trat ich einen Schritt zurück.