→ Islam und Aufklärung

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ISLAM UND AUFKLÄRUNG Die Angst vor dem Islam und die abendländische Überheblichkeit spielen eine wesentliche Rolle in der europäischen Flüchtlingspolitik. Zentral ist die Behauptung: „Das christliche Abendland unterscheidet sich von allen anderen Kulturen dadurch, dass es im 18. Jahrhundert die Aufklärung gab“.
Gerd Stange beleuchtet die Zeiten, in denen die islamische Kultur einen emanzipatorischen Einfluss auf die kulturelle Entwicklung in Europa ausübte – durch ihre Toleranz gegenüber Christen und Juden und durch ihre intellektuelle Offenheit. Sie führen in europäische Städte, die heute am Rande liegen und damals kulturelle Zentren waren: Cordoba und Konstantinopel.
Die Jahrhunderte der muslimischen Herrschaft in Spanien schufen die Voraussetzungen zur Renaissance. Das Osmanische Reich auf dem Balkan bereitete die Aufklärung vor.
Die türkische Kaffeehaus-Kultur des 17. und 18. Jahrhunderts war dazu geeignet, die freie Meinungsäußerung öffentlich zu praktizieren. Gerd Stange weist ihr eine besondere Rolle zu, weil sie die Cafés in Paris, Wien, London, Venedig oder Hamburg erst hervorbrachte und nicht umgekehrt.
Im absolutistischen Paris führte die Kaffeehaus-Kultur zur Entwicklung kritischer Denkrichtungen und emanzipatorischer Ideen bis zur französischen Revolution.

Gerd Stange

ISLAM UND AUFKLÄRUNG
Türkische Kaffeehäuser in Paris
Essay

160 Seiten, Softcover
Preis 13,90 €
ISBN 978-3-943446-25-8

 

Leseprobe

JAHRHUNDERT DES LICHTS

In Deutschland ist es üblich, von dem Jahrhundert der Vernunft oder der Aufklärung zu sprechen. Für Franzosen und Engländer war es das Jahrhundert des Lichtes im Sinne von Belichtung und Erleuchtung. Der Unterschied erklärt sich aus der zeitlichen Abfolge. Die Fragen am Ende des Jahrhunderts, als die Aufklärung in Deutschland auf die Tagesordnung kam, waren andere als zu seinem Beginn.

Der Anstoß kam in Frankreich von Adligen, die aufgriffen, was in den Cafés diskutiert wurde. Mitte des Jahrhunderts war es ein breites Bündnis der intellektuellen Elite Frankreichs, das eine umfassende Kritik artikulierte.
Es ging anfangs darum, einen klaren Blick zu bekommen und das Dunkel zu beseitigen, das die römisch-katholische Kirche mit ihrer speziellen Religionsauffassung in die Welt und an die Macht gebracht hatte. Der Protestantismus wie die griechisch-orthodoxe Kirche waren Alternativen innerhalb der christlichen Religion, die nicht mehr aus der Welt zu schaffen waren, aber in die Schranken gewiesen wurden.

Das Osmanische Reich mit einer anderen Religion auf Grundlage derselben Bibel hatte den Herrscher nicht sakralisiert. Die Göttlichkeit des christlichen Königs von Frankreich begann angesichts des zweijährigen Knirpses auf dem Thron zu wanken. Es kam zu einer Führungskrise.

Die absolutistische Macht sollte bekämpft und die Köpfe der Menschen von der Umnebelung befreit werden. Dazu verbündete sich ein Teil des Adels mit dem aufstrebenden Bürgertum gegen den Machtblock der adligen Kirchenleute.

Daraus entstanden Forderungen:

– Wissen und Wissenschaft statt Glauben.

– Freie Meinungsäußerung.

– Toleranz und Glaubensfreiheit.

– Konstitutionelle Monarchie mit Gewaltenteilung.

Zentrales Thema der französischen Opposition war der Laizismus, die Trennung von Kirche und Staat, weil die katholische Kirche über den göttlichen Monarchen die gesellschaftliche Entwicklung und die individuelle Emanzipation verhinderte.

Träger der Veränderung war das Bürgertum, das sich mit Unterstützung des Volkes durchsetzen konnte und in der Revolution für einige Jahre die Oberhand gewann. Die Macht der Kirche wurde beschränkt, viele Adlige fielen dem Schwert zum Opfer, dessen technische Weiterentwicklung – die Guillotine – das Schlachten effektiver machte.

Die Republik siegte vorübergehend, aber eigentlich scheiterte sie.

Die Konterrevolution der alten Mächte auf dem Land und die Unklarheit der Ziele in der Stadt führten nach wenigen Jahren zur Restauration der Monarchie. Erst nach dem 2. Weltkrieg konnte sich die Republik endgültig durchsetzen. Die Präsidialverfassung Frankreichs ist jedoch eine säkularisierte Form der Monarchie, denn der Präsident steht in wesentlichen Fragen über dem Parlament.

Der Kampf um die Macht zwischen den drei Blöcken war und ist bis heute nicht entschieden, auch wenn Frankreich auf dem Wege zum Laizismus weiter gegangen ist als andere Staaten (insbesondere Deutschland).

Die Fortsetzung der Aufklärung in den diversen deutschen Fürstentümern soll hier nicht untersucht werden, weil sie je nach Staat einen anderen Verlauf nahm, der abhängig war von den jeweils herrschenden Machtkonstellationen. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war damals ein Flickenteppich von Fürstentümern, die sich gegenseitig bekämpften. Aus ihnen ragten Österreich auf der einen und Preußen auf der anderen Seite hervor. Zu Beginn der französischen Revolution 1789 war die Aufklärung, auf das gesamte Heilige Reichs-Gebiet bezogen, nur ein Randphänomen, das unter Friedrich II in Preußen kurz aufgeflackert war. Der ‘Sturm und Drang‘ mit einigen revolutionären Theaterstücken von Goethe (zum Beispiel „Götz von Berlichingen“ über die Bauernkriege) und Schiller („Die Räuber“ über Gesetz und Freiheit, „Don Carlos“ über Gedankenfreiheit) sprach eine intellektuelle Elite an, schuf jedoch keine bürgerliche Öffentlichkeit wie zuvor in Paris.

Die bürgerliche Revolution musste im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation bis 1848 warten und scheiterte auch dann noch.

Ein kleines Deutschland entstand erst ein knappes Jahrhundert nach der französischen Revolution und musste den 1. Weltkrieg verlieren, damit die Elite der Kriegsführung, der Adel, Macht abgab und der König abdankte.

Damit nicht einverstanden bereiteten die Nazis mit adliger Unterstützung die Revanche vor.
Es ging vor allem um den Osten mit dem Baltikum. Hitlers Parole „Heim ins Reich“ fand volle Zustimmung bei den Junkern.

Im 18. Jahrhundert lag Königsberg ganz am Rande Preußens, mit 60 Tausend Einwohnern eine seiner größten Städte und kulturell bedeutend. Dort wirkte Immanuel Kant (1724-1804) unter preußischer Hoheit. Das schützte ihn nicht vor Zensur und Papst, denn er hatte eine andere Emanzipation im Blick, die vom Individuum ausging. Auf die Frage „Was ist Aufklärung?“ gab er folgende Antwort:

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude (wage es verständig zu sein)! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

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¹ Vergleiche hierzu den Artikel über Laizismus in Frankreich in: Culture & Contact, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Träumereien am französischen Kamin

² Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?: Berlinische Monatsschrift, 1784