→ Enzella

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ENZELLA spielt in Marseille vor 7 Jahrzehnten, im 2. Weltkrieg, als die Deutschen auch Frankreichs Süden besetzten. Es ist die Geschichte der verbotenen Liebe einer jungen Frau, deren Eltern aus dem faschistischen Spanien nach Marseille flohen, zu Hugo, einem deutschen Besatzungssoldaten. Er ist das Gegenbild zum Klischee des schreienden deutschen Militärs: ein Maler auf den Spuren Cézannes.

Lucien Vassal beleuchtet die problematische Zeit aus der Perspektive der jungen Emigrantin Enzella, die in ihrem Leben nur Krieg erlebte und nun zum ersten Mal verliebt ist, in einer Welt von Hunger, Leid, Attentaten, Bombenangriffen und Verwüstung. Die unerbittliche Rache von Widerstands- gruppen im Moment der Befreiung gibt einen bewegenden Einblick in die deutsch-französische Geschichte. Darüber durfte jahrzehntelang nicht gesprochen werden.

Der Roman ist in Marseille und seiner rauen und grandiosen Umgebung verwurzelt.
Er ist preisgekrönt (Prix Arts et Lettres de France: Plumes d’Azur 2007).

ISBN 978-3-943446-01-2
ca 200 Seiten
19.90 €
Aus dem Französischen von Gerd Stange

 

Leseprobe

Sie wusste, dass Phil, Laurent und Pierre Carsulo, ein Vorarbeiter aus den Werkhallen von Favant, in denen Munition hergestellt wurde, oft am Abend weggingen und erst am frühen Morgen wiederkamen. „Ich war fischen”, antwortete Phil auf Marias und Carmens Nachfragen. Aber niemand ließ sich täuschen. Enzella war nachdenklich, ihr Blick ging anderswo hin. Der Tod, immer wieder der Tod. Überall: in den Zeitungen, auf den Stras- sen, in der Angst der Mütter und Schwestern… Phil allein blieb ihnen übrig, der einzige Mann im Haus. Ein Mann? Er war dazu geworden, mit 15 Jahren, sofort zu Beginn des Bürgerkriegs. Bei der Haltestelle des Ziegelbrennereien stiegen vier deutsche Soldaten ein. Sie blieben zusammen auf der Plattform am Ende des Zuges stehen: die Ablösung für die Nachtwache am Bunker. Das kleine Fort, ein enormer grauer Käfer, beherrschte die Bucht. Es war auf einer Anhöhe gebaut worden, direkt über der Bar zur Gartenlaube, die von der Garnison viel besucht wurde. Eine Explosion, ein fürchterlicher Sog, überall Glas- und Metall-Scherben, genau in dem Augenblick, wo die Straßenbahn vor der Haltestelle von Mourepiane verlangsamte. Schreie, Rauch, Leute, die sich niedertrampeln… Unwirkliche Schreckensbilder in Zeitlupe wie in einem schlechten Film. Die ausgerenkte Silhouette eines Soldaten, der von der Plattform fällt, ein anderer draußen. Gebrüll und dann eine große Stille in dem Zischen von Pressluft. Wimmern. Die Straßenbahn hielt in einem Stahl- und Glashaufen an. Leute auf der Flucht vor dem Horror stürzten durch die Türen und die klaffenden Fenster hinaus, sprangen über die Rampen der Plattform. Enzella, mit vor Schreck geweiteten Augen, die sich auf die stöhnenden Verwundeten richteten, hatte sich nicht bewegt. Eine Hand ergriff ihren Arm und zwang sie aufzustehen. – Kommen Sie, schnell, man muss hier weg! Sie erkannte die Stimme wieder, trotz des Befehlstones. Seine Stimme. Sie drehte sich um. Er war es tatsächlich. Wo kam er her? Er half ihr hinunterzusteigen. Er war beruhigt: sie hatte nichts, außer im Haar und in der Kleidung lauter Scherben. – Wir können hier nicht bleiben, sie werden kommen und alle Welt verhaften.

Er beeilte sich, wobei er sie mit festem Griff unterstützte. Er nahm den Boulevard Martin, eine Strasse, die zum Dorf Saint-André aufstieg, dessen Kirchturm über die Wellen der Dachpfannen emporragte. Eine enge Gasse zur Rechten. Ein Querweg „Der Rehkitztritt”. Er verlief kurvenreich und nach Bedarf schattig zwischen Häuschen, die am Ende kleiner Gärten aufgepflanzt waren. Weiter unten, auf dem Küstenweg, hörte man die Sirenen der Feuerwehrautos heulen und die Militärlastwagen brummen. Eine Patrouille stürzte in den Boulevard Martin. Hugo stieß Enzella in eine Ecke und schützte sie mit seinem Körper. Er fuhr ihr mit der Hand in die Haare. „Nicht einmal eine Schramme, das ist ein Wunder…” Die Hand glitt über die Stirn, das Gesicht, die Wangen, die Lippen. Er drückte sie an sich und küsste sie sanft. Sie ließ sich gehen. Ihre Beine wurden schwach. Er hielt sie noch fester an sich.