→ Der schmale Weg

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Norbert Greuel
Der schmale Weg
Roman
ISBN 978-3-943446-58-6
Preis: € 16,-
252 Seiten
Softcover
Herkunftsland Deutschland
Edition Contra-Bass

Inhaltsbeschreibung:

Eine lockere Freundesgruppe verabredet sich für eine Wanderung in den Dolomiten. Es sind drei Paare und vier Einzelpersonen, einige sind schon gemeinsam gewandert, andere haben darin noch keine Erfahrung. Gerd hat die Tagestouren und Übernachtungen ausgesucht. Sein über 80-jähriger Vater Bodo ist auch dabei. Auf der Fahrt und der ersten Wanderung finden Gespräche statt, in denen sie sich besser kennen lernen. Die Unerfahrenen haben am zweiten Tag eine schwierige, steile Strecke zu bestehen. Die Gruppe wächst immer mehr zusammen. Am vorletzten Tag ereignet sich an einem steilen Schotterhang ein folgenschwerer Unfall. Wieder zurückgekehrt, entscheiden sie, dass jede-r für sich zu Papier bringt, was der Unfall in ihnen ausgelöst hat. Sie wählen Einzelne aus der Gruppe, mit denen sie darüber sprechen möchten. In der Selbstbefragung kommen jeweils die tieferen Themen zu Tage. Laura ist eifersüchtig auf ihre Schwester Hannah, der immer alles gelingt. Hannah findet ihren Freund Gerd zu vernunftgesteuert und wünscht sich mehr Emotionalität. Bodo setzt sich mit dem Tod auseinander, da er Krebs hat. Manfred erinnert sich an eine frühe Verhaltensstörung. Ines hat einen verdrängten Konflikt mit ihrem Sohn aus erster Ehe und ihrem jetzigen Mann… In den Gesprächen miteinander geht es um Schuld, Verantwortung, Suizid und Problemlösungen. Die meisten Veränderungen betreffen Judith, die vom Unfall Betroffene, und ihren Freund Robby. Ihr Leben verändert sich radikal.

Leseprobe:

Die beiden Männer und die drei Frauen kamen kurz nacheinander an der Vajolethütte an, die auf über zweitausendzweihundert Metern Höhe mitten zwischen kahlen Felsen errichtet war. Gerd zeigte zu einem steilen Aufstieg, der nach rechts abging. „Auf diesem Weg sind die übrigen sicher schon unterwegs“, erklärte er. Sie bezogen ihre Zimmer und verbrachten den Spätnachmittag unterschiedlich. Judith legte sich zuerst ein wenig aufs Bett und spazierte dann in die Umgebung der Hütte. Ines und Laura verabredeten sich zum Kaffeetrinken vor der Hütte, wo sie zwei Stunden lang redeten. Bodo ruhte sich in seinem Zimmer aus, und Gerd setzte sich mit einem Buch abseits der Hütte auf einen Felsen. Als die Klettergruppe zurückkam, begrüßten Laura und Ines sie vor der Hütte. Sie erzählten durcheinander von dem steilen Weg, der grandiosen Aussicht und dem leichten Abstieg. Um neunzehn Uhr trafen sich alle im Speiseraum. Die Stimmung war freundschaftlich, alle scherzten und lachten miteinander. Nach dem Essen nahmen einige einen Espresso. Beim Grappa erzählte Manfred, was ihm passiert war. „Oben an der Santnerpasshütte hatte ich vorhin ein ganz merk-würdiges Erlebnis, das ich so noch nie im Leben hatte.“ Alle hörten interessiert zu. „Wir standen vor der Hütte und bestaunten die Aussicht, vielleicht zehn Meter vor uns lag der Abgrund, es ging einige hundert Meter senkrecht in die Tiefe. Plötzlich spürte ich den starken Drang, mich diesen Hang hinunterzustürzen, und ich war nicht mehr sicher, dass ich das nicht tun würde! Ich musste mich auf den Boden setzen und auf allen Vieren rückwärts weg vom Abgrund krabbeln, sonst wäre ich vielleicht hinunter gesprungen! Ich war völlig entsetzt von mir! Ich bin noch nie lebensmüde gewesen, aber diesen Drang zu springen habe ich so deutlich gefühlt wie selten etwas im Leben! Es war richtig unheimlich!“ Manfred spürte, dass sein Herz beim Erzählen stark klopfte. „Das muss ja entsetzlich sein!“, rief Laura, „und du hattest das Gefühl, sehr dagegen ankämpfen zu müssen?“ „Ja“, bestätigte Manfred, „mit aller Kraft, sonst säße ich jetzt nicht hier!“ „Ein Glück, dass dir eingefallen ist, auf allen Vieren rückwärts zu kriechen!“, sagte Judith. Lothar berichtete, dass er ein solches Erlebnis auch einmal hatte, er habe Schweißausbrüche bekommen und entsetzliche Angst. Gerd mutmaßte, das seien Erscheinungsformen von Höhenangst, „oder?“, fragte er in die Runde. Leo klärte darüber auf. „Ja, das war es wahrscheinlich. Höhenangst ist behandelbar, eine Verhaltenstherapie kann helfen. Aber dass es furchterregend ist, einen solchen Drang zu spüren, ist natürlich. Wenn es nur einmal auftritt, muss man aber überhaupt nichts tun.“ „Trotzdem!“, meinte Ines, „das muss total unheimlich sein, wenn so etwas mit einem geschieht und man nur mit größter Mühe dagegen ankommt!“ Alle versuchten nachzuerleben, was Manfred auf dem Berg gefühlt hatte, und es gruselte sie bei dem Gedanken, selbst so etwas zu erleben oder, schlimmer noch, erleben zu müssen, dass jemand tatsächlich in einen Abgrund springt. Eine Weile waren sie in Gedanken und Gefühle versunken. „Auf die Gefahr hin, dass das jetzt nicht recht passt, würde ich gern wissen, wie morgen unsere Etappe verlaufen wird?“, fragte Judith, „es ist schon unser vorletzter Tag.“ Ines überlegte, ob es Judith unangenehm sein könnte, über Angst zu sprechen. Judith meinte, ein kleines Aufatmen über die Ablenkung von den düsteren Gedanken in der Gruppe zu spüren. Robby setzte einen drauf und feixte: „Gerd, gibst du uns heute die Ehre, zu uns zu sprechen, oder hast du wieder jemand anderen beauftragt?“ Lothar widersprach. „Gerd hat mich gestern gebeten, nicht beauftragt!“ Gerd erhob sich. „Morgen haben wir wieder einen ruhigen Tag vor uns, sechs Kilometer ist die Strecke lang, es geht etwa gleichermaßen fünfhundert Höhenmeter bergauf und bergab, der Führer gibt vier Stunden Gehzeit bis zur Rotwandhütte an. Es gibt eine etwas schwierige Stelle, sonst ist alles easy, also ein gemütlicher Spaziergang für so erfahrene Wanderer wie uns.“ Er setzte sich, stand aber dann sofort wieder auf. „Ich gebe eine Runde aus! Gerade hab ich das starke Gefühl der engen Verbundenheit mit euch, also lasst uns einen auf uns trinken!“ Alle klatschten Beifall, und dann saßen sie noch lange zusammen und genossen das gute Gefühl, Mitglied einer Gruppe zu sein, die in den letzten Tagen viel Anstrengendes und Schönes miteinander erlebt hat.