→ Doppelter Frühling

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Lou bricht aus. Dreimal im Jahr flieht sie aus der südfranzösischen Familie mit Künstler-Mann und Kind und reist zu ihrem Liebhaber nach Venedig. Doch diese Leidenschaft steht auf morschen Pfählen.
Plötzlich allein gelassen irrt Lou durch die Stadt mit Romantik-Appeal, Gondeln und Palästen. Dass gerade jetzt und gegen den Willen der Weltgemeinde Bomben auf Zweistromland fallen und das Zünden von Gürteln mit Granaten modern wird, verunsichert zusätzlich ihre Lage.
So begräbt sie ihre Zweit-Liebe in den undurchsichtigen Gewässern Venedigs und muss zurückfinden in ihre Realität: Was will sie von sich und was von Mann und Kind fordern, damit sie neben dem selbstgenügsamen Künstler und der kapriziösen Tochter nicht untergeht?
Renate Langgemachs poetischer Schreibweise gelingt es, diese doppelte Liebesgeschichte mit dem irritierenden Licht der Gondelstadt, aber auch dem plötzlichen Gewitter der Weltereignisse zu verbinden.

Renate Langgemach
Doppelter Frühling
Roman
ISBN 978-3-943446-24-1
192 Seiten
Preis € 15,90

 

Leseprobe

Enno holt mich nicht ab, nicht am Flughafen, nicht auf der Piazzale Roma, nicht auf seiner Veranda. Er kann Menschenaufläufe nicht leiden, sagt er, deshalb verbringt er seine Zeit lieber beim Vorbereiten des Venusfisches, so nennt er unser Menü für den ersten Abend, Blick in den Himmel inklusiv. Seine Tür ist angelehnt, ein Spalt wie für eine Katze, ich schlüpfe hinein und ziehe sie zu, als wäre ich nie weg gewesen.

Da bin ich also wieder. Wo die meisten Straßen Flüsse sind, es nach Wasser riecht und dunklem Moos, wo Rosen in Schalen stecken, Kerzen neben den Spiegeln, wo Licht durch Bleifenster dringt, mir die Bodenfliesen barfuß vertraut sind und ich im Traum fast durch die Gänge finde.
Ich husche an der Küche vorbei, Enno in Salbei- und Oliven-nebel, höre ihn Kräuter hacken, gucke über das Wasser, das um die Pfeiler schwappt, die Mauern, die Fassaden. Sie wissen, dass Schönheit mit der Zeit wächst, dass das Alter seine Reize hat –im Garten vergehen Jahre, bis die Mischung stimmt – und jede modern frisierte Häuserfront Produkt von Bürokraten ist, die die Schönheit im Schminkkoffer ihrer Frau vermuten.
Alle Häuser hier haben nasse Füße, muss ich denken, manche Tag und Nacht, trotzdem sind sie still, tragen ihre Kronen, auch wenn Gold und Farbe abgeblättert sind und die Augen der unteren Etagen verschlossen, weil das Wasser sie ausgehöhlt hat.
Vielleicht stehen noch eiserne Betten hinter den Fensterläden – jede Sünde unterm Kruzifix, Perlenrand und lächelnde Madonna, Leinen in der Kommode, Vaters Kappe auf dem Stuhl, Mutters Krug auf der Veranda.

Ich ziehe das Kleid an, das in Rostrot, das bei Enno im Schrank bleibt. Claude würde über solch einen Fummel nur staunen. Denn zu Hause brauche ich so etwas nicht, da sitzen wir an Holztischen ohne Drumherum. Ich schlüpfe in die Schuhe, streiche alle Falten glatt – und voilà, ich finde mich ein.
Enno beugt sich über die Fischplatte, eine Hand umspannt den Kristallhals, die andere meine Schulter, er schenkt ein, stellt die Karaffe ab, Prosit auf unser Festmahl und auf mich, die wie der Fisch unter seinen Augen vergeht.
Als ich zum Begrüßungskuss lachen muss, kommt seine Zeremonie durcheinander. Er lacht mit, dabei strahlt er eine Ruhe aus, ich frage mich, wie er das macht. Dann reicht er mir ein Fischstückchen, eine Taube will auch etwas davon … es ist so einfach, den rechten Mann an seiner Seite, ein gutes Essen, eine Stimmung, als könnte keiner dem anderen ein Haar krümmen, und ich schwärme, wie köstlich so ein Venusfisch ist, kaum dass ich den Lärm vom Flughafen hinter mir habe und die Bildschirme überall, damit man nicht vergisst, dass sie sich in Basra und Kerbell die Köpfe einhauen und deshalb der Dow Jones immer noch nicht steigt.

Nach meiner inneren Uhr ist es ein halbes Leben, nach der äußeren erst ein paar Stunden her, dass Claude mich in der Abflughalle abgeliefert hat, auf seinen Apéritiv verzichtet, keine Fragen gestellt, kein BistduwiederimgleichenHotel, Washastdudiesmal vor – es interessiert ihn nicht wirklich! Die Hauptsache ist, er bringt Janine rechtzeitig zum Schulbus. Dann soll er meinetwegen in seinem Atelier verschwinden, soll brüten, aus-harren wie ein Jäger, die Schneeziege im Visier, sich einsiedeln, das Atmen vergessen, ich störe ihn vorerst nicht.
Aber wo die Quittung für die Grundsteuer ist, dafür interessiert er sich plötzlich, und sein Foto mit dem schwarzen Hund im Klosterhof von Cadouin. Er hätte beides in einen Briefumschlag getan – und jetzt findet er ihn nicht wieder.
So ist er eben. Kompliziert die Dinge zur falschen Zeit und bringt sein Papierzeug überall durcheinander, obwohl er nur eine Schublade dafür besitzt.
Schublade plus Tisch gehören zu unserem Haus, seit Claude es gekauft hat. Er hat die Tischbeine neben den alten Zapfen verschraubt und ihre Länge mit Eisenstücken ausgeglichen. Weil er das Vorläufige mag und halbschwebende Dinge, steht der Tisch noch heute so – und wenn ein Glas Wasser darauf umkippt, ist Frankreich in Not, denn Karten, Rechnungen und Kontoauszüge, die in der Schublade lagern, könnten durch die Fugen der Platte nass werden – oh caro mio, dagegen ist Enno ein Ordnungsgenie.

Das Foto wäre ein gutes Beispiel für den Schatten, fängt Claude wieder an, hier und jetzt zwischen den Koffern in der Wartehalle und ich auf dem Weg zu meinem italienischen Nebenmann.
Schatten spaziert über den Klosterhof. Wo man ihn am liebsten nicht sehen will und so tut, als tanzt er nur in Teufels Küche!
Ich verstehe überhaupt nichts, dränge zum Gate, er beharrt auf seiner Rede, ich zurre an seinem Schal, er seziert mich von der Seite und sagt: Das Wunderbare an der Sache ist, der Hund hat selbst keinen Schatten. Weil die Sonne direkt über ihm steht. Dann macht er eine Pause und guckt mich an.
Übertreib nicht, Lou, sagt er, wenn du unterwegs bist.
Typisch Claude. Läuft mit Postkartenblick durch das Leben und gibt seinen Worten mit Namensnennung Gewicht – Louise wohlwollend gekürzt. Dabei fehlt mir die Umrechnungstabelle für Schweizer Franken.
Wozu brauchst du denn die, es ist wie drei zu zwei, sagt er, und als hätte es noch nicht gereicht, stell dir vor, der Daniel Libeskind will das neue Ding auf Ground Zero so bauen, dass es am 11. September morgens keinen Schatten wirft.
Da steigt mir Hellrot ins Gesicht, endlich getroffen von seiner Bemerkung über die verdrängten Seiten des Lebens – und Enno ist nicht mal fünf Stunden von hier. Ich grabe in meiner Tasche, als ob es wegen der Tabelle wäre, Claude hat seinen Umschlag inzwischen gefunden und mir das Foto als Gruß zugesteckt.
Vergiss nicht, sage ich, Janine daran zu erinnern, dass ihr Hase Futter braucht!
Vergiss du nicht, ihr zu schreiben.
Und pass auf, dass sie nicht so lange aufbleibt!

In dem Durcheinander kommt unser Küssen zu kurz, bonne route und fall nicht aus dem Himmel, ich verschwinde hinter dem Flughafenglas, Claude grinst über mein nervöses Gezupfe, steht da in seinem Bauernpullover, mir klopft ein paar Meter das Herz. Wenn ich erst in der Luft bin, wenn es abgehoben hat, das Flugzeug, dann bin ich endlich ruhig.