→ Das französische Haus

Hans-Peter Kruse, Das französische Haus, Erzählung
ISBN 978-3-943446-69-2
Softcover
144 Seiten 
16,00 €

Der dänische Bauer Frederik Petersen war verliebt in Südfrankreich. Die Region Languedoc- Roussillon mit dem Gebirge der Corbières fand er besonders anziehend.
Daher erwarben er und seine Frau Freja vor fast 20 Jahren das kleine Haus im mittelalterlichen Dorf Fitorque. Doch mit fortgeschrittenem Alter wollten sie es wieder verkaufen.
Als zufällig ein deutsches Touristenpaar vorbeikam, zeigte Petersen ihnen nicht nur das Haus, sondern auch den gewölbten, jahrhundertealten Felsenkeller. Aber dieser ließ sie nicht wieder los.
Es folgten dramatische Ereignisse, in denen vermeintliche Terroristen verhaftet werden, ein alter Mann sein Gedächtnis verliert und wiedererlangt und eine prähistorische Stätte entdeckt wird.
Eine abenteuerliche Geschichte, die von Südfrankreich, seiner Kultur, den
Bewohnern und den Zugereisten erzählt.

Leseprobe
Der Hausherr kam nicht wieder. Paul und Christiane saßen noch immer in ihren großen Sesseln mitten im Gewölbekeller. An der skurrilen Situation hatte sich nichts geändert – das große Eichentor blieb verschlossen. Kein Kontakt zur Außenwelt.
„Ich glaube“, wandte sich Paul behutsam an seine Frau, „jetzt ist wohl der Zeitpunkt gekommen, wo wir etwas unternehmen sollten. Wir müssen telefonieren und irgendjemanden infor-mieren, der uns hier rausholt.“
Ein Telefonat mit Deutschland würde sie auch nicht weiter-bringen. Nach kurzer Überlegung entschlossen sie sich, die Gendarmerie anzurufen. Nur die könnte vor Ort etwas bewirken. Es lag zwar kein direkter Notfall vor, eine akute Gefahr war momentan auch nicht gegeben, aber trotzdem schien ihnen ein Anruf über die Notrufnummer 112 angemessen.
Gesagt getan… allerdings tat sich nichts… kein Netz!
Christiane wollte es auch auf ihrem Handy mit einem anderen Mobilfunkanbieter versuchen, blieb aber ebenso erfolglos. Das umschließende Karstgestein schien im Gewölbekeller der Grund für die Netzlosigkeit zu sein.
„Also können wir nicht einmal telefonieren“, resümierte Paul die Situation etwas verstimmt. Außer Christianes Handtasche hatten sie nichts weiter an persönlichen Sachen dabei. Immerhin befand sich darin ein Netzladekabel für allerdings nunmehr nutzlose Handys. Es war schon seltsam. Eigentlich wollten sich beide nur noch ein paar schöne Stunden in diesem verträumten Ort machen, und nun saßen sie hier in der Klemme. Über Ausmaß und Folgen ihrer jetzigen Situation wollten sie sich im Moment noch keine tieferen Gedanken machen, aber ihre Besorgnis blieb. Sie versuchten normale, rationale Überlegungen anzustellen.
„Nun“, überlegte Paul, „was haben wir hier eigentlich alles im Keller? Wir haben kein Fenster, aber dafür ein fest verschlossenes Tor.“
Sie machten sich daran, eine umfassende Bestandsaufnahme des Inventars zu erstellen.
Vorhanden war:
Eine Schlafcouch, 2 große Sessel, 1 Tisch, 2 Wandschränke, diverse Regale, diverse Eimer und Schüsseln, etliche Decken und Kissen, Toilettenpapier, reichlich Kerzen…
An Lebensmitteln gab es: eingemachtes Obst und Gemüse, Suppen in Dosen, Zwieback, eine Kiste Wasser und weitere Lebensmittel, reichlich Vorrat an Rot- und Weißwein aus der Region.
Außerdem waren elektrischer Strom und eine Lampe vorhanden, ebenfalls ein Waschbecken mit Wasseranschluss und ein Ausguss.
Obwohl die Petersens das Haus in absehbarer Zeit verkaufen wollten, hatten sie immer einen großen Vorrat an Lebensmitteln. Sie gehörten einer Generation an, die auf so etwas Wert legte. Die Eingeschlossenen maßen all dem keine weitere Bedeutung bei, aber es brachte etwas Ablenkung und Struktur in ihre momentane Situation. Die Prozedur erinnerte sie an eine Inventur in einem Warenlager und half beiden, sich etwas zu beruhigen.
„So weit so gut“, meinte Christiane zu ihrem Mann, „nun wissen wir also, was wir alles haben und was nicht. Zumindest werden wir die nächsten Tage nicht verhungern. Aber wie weiter wissen wir trotzdem nicht.“
Nun war es an der Zeit zu analysieren, was die Ursache für ihre jetzige Situation sein könnte. Fakt war, das Tor war verschlossen und von innen nicht zu öffnen. Die Torverriegelung war defekt, ob absichtlich so gewollt oder nicht. Eine Geiselnahme schlossen sie von Beginn an aus. Die Begegnung mit dem Dänen war rein zufällig gewesen, und was wollte man von ihnen schon erpressen? Möglicherweise stand Herr Petersen mit einem Bekannten auf der Straße und hatte über das Gespräch einfach die Zeit vergessen, das war aber eher unwahrscheinlich. Petersen hatte berichtet, eine neue Garnitur von einem Lieferdienst zu erwarten. Der war verspätet, und Petersen wartete immer noch an der Straße. Auch eher unwahrscheinlich, denn nach zwei Stunden hätte er sich schon gemeldet.
„Er sprach doch von gesundheitlichen Problemen“, erinnerte sich Christiane, „und wenn ihm etwas zugestoßen und er momentan hilflos ist?“
„Dann findet ihn ein Passant“, beruhigte Paul seine Frau, „und dann öffnen sie unser Tor.“ Eine spontan eingetretene gesundheitliche Verschlechterung schien beiden noch die plausibelste Erklärung zu sein und würde dann zu ihrer „Freilassung“ führen.
Mittlerweile war es nun schon 18.00 Uhr geworden, ohne dass sich irgendetwas an ihrer Situation geändert hätte. Beide fingen an zu philosophieren, ob ihre missliche momentane Lage nicht ein Fingerzeig dafür sein sollte, die Idee mit einem eigenen Haus in Frankreich fallen zu lassen.
Christiane überlegte: „Waren wir zu übermütig oder gleich-gültig? Hat uns das in dieses Gewölbe gebracht? Eigentlich gibt es keine Zufälle. Wenn allerdings kein Zufall, was soll uns dann diese Lektion bedeuten?“
Unweigerlich kam nunmehr der Gedanke an die Tochter und beide Enkelkinder in Mecklenburg auf. Gemeinsam mit Mann Ole lebten sie in Rostock. Sie hatte ihre Arbeit, und die Kinder gingen aufs Gymnasium. Sie nicht wieder zu sehen, das hätte ihnen das Herz gebrochen, aber stand momentan gar nicht an. Um ihr Haus in Schwerin mussten sie sich auch nicht sorgen. Ihre Nachbarn, Familie Hörmann, kümmerten sich während ihrer Abwesenheit darum. Im Grunde gab es doch gar kein Problem. Sie hätten im Bedarfsfall zu essen – und ein Nachtlager wäre auch herzurichten.
Wahrscheinlicher war doch, dass Herr Petersen gleich das Tor öffnete und hereinkäme.
Aber Herr Petersen kam nicht…