→ NOAMI – Eine Reise nach Jerusalem

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Peter Berg
NOAMI – Eine Reise nach Jerusalem
Roman

ISBN 978-3-943446-44-9
320 Seiten
18,00 €

Kurz nach den erschreckenden Selbstmordattentaten in Jerusalem im März 1996 reist der Student Joachim nach Israel. Er will sich ein eigenes Bild von der Lage machen, aber er hat noch einen anderen Grund: seine Freundin hat ihn vor zwei Tagen verlassen. Im Flugzeug begegnet er der
Palästinenserin Leila, die er gleich anziehend findet. Sie wollen sich wieder treffen, aber Leila wird seit der gemeinsamen Taxifahrt von niemandem mehr gesehen. Ihre Familie bittet Joachim um Hilfe, und er gerät in eine undurchsichtige Geschichte, die ihn tief in die israelisch-palästinensischen Konflikte hineinzieht. Gleichzeitig verliebt er sich in Noami, die gerade ihren israelischen Wehrdienst absolviert. Sie führt ihn durch die Landschaften und historischen Orte Israels und zu ihrer Familie. Ihr Vater, ein einflussreicher Politiker, zieht hinter ihrem Rücken die Fäden, um sie auseinander zu bringen. Davon ist auch Leila betroffen.
Joachims Reise ist eine Auseinandersetzung mit der Last der eigenen, deutschen Geschichte, mit Fragen zu seiner zerbrochenen Liebe und der Liebe überhaupt, Fragen nach der Möglichkeit von Verständigung und friedvollem Zusammenleben.
Peter Berg ist es gelungen, auf spannende Weise die persönliche Entwicklung des jungen Mannes mit den politischen Geschehnissen in Palästina zu verflechten.

Leseprobe

„The fact is, that mistakes happen!“ Lacht sie mich an oder aus,
oder beides?
Vor mir steht die Fee aus Tausendundeine Nacht, freut sich
offensichtlich, mich noch immer in der Bannmeile des Flughafens
anzutreffen, und gibt mir kopfschüttelnd zu verstehen,
dass ich an der falschen Bushaltestelle warte, während an der
richtigen gerade der Bus nach Jerusalem abgefahren sei.
„Komm, wir nehmen uns ein Sammeltaxi“, schlägt meine
schöne Zugbekanntschaft in bestem Deutsch vor. Es ist mir so,
als würden wir uns schon lange kennen. Ohne eine Antwort
abzuwarten, winkt sie mit routinierter Geste einen der Großraumwagen
heran. Der Fahrer, ein alter Mann, verstaut
unser Gepäck, klemmt sich hinter das Lenkrad und beginnt
umständlich am Taxameter zu hantieren. Die junge Frau nennt
ihm Jerusalem als Fahrziel und fügt schnell den Fahrpreis, den
sie zu zahlen bereit ist, hinzu, worauf er die Vorstellung aufgibt,
ein Extrageld zu verdienen, das Gerät wieder abstellt und leise
murrend losfährt.
„Was führt dich her in dieser Zeit?“, ergreift sie erneut die
Initiative, „für Tourismus gibt es angenehmere Ziele.“
Die Anspielung gilt den terroristischen Selbstmordanschlägen,
die an zwei Sonntagen in Folge die Aufmerksamkeit der Welt
auf Israel richteten. Ihre Augen blicken fragend, während sie
sich mit der Linken leicht durchs Haar fährt.
„Gewiss“, entgegne ich, „um uns kennenzulernen, hätten wir
uns den Flug ersparen können.“
„Das ist doch ein kleiner Unterschied“, widerspricht sie, und
ihre Augen funkeln. „Du kommst in ein Land, das sich im
Krieg befindet, ich kehre zurück in meine Heimat.“
„Wieso sprichst du so gut Deutsch, und wie bist du vorhin in
die Maschine gekommen?“
„Du bist ja gar nicht neugierig! Stellst du immer zwei Fragen
auf einmal?“ kontert sie und gibt so keine Antwort.
„Entschuldige, ich sollte mich erstmal vorstellen“, beginne
ich erneut: „Joachim, Student aus Göttingen.“
„Du studierst bestimmt Geisteswissenschaften“, lächelt sie in
mir nun schon vertrauter Weise.
„Politik und etwas Psychologie. Wie kommst du darauf?“
„Auf mich wirkst du wie ein freundlicher Frühlingstag. Du
sprichst mit den Augen und beschäftigst die Menschen mit
schlauen Fragen.“
Aha, sie hatte wohl im Flugzeug von ihrem Platz aus mein
Gespräch mit Sarah belauscht, vielleicht sogar Einzelheiten
mitbekommen.
„Mein Name ist Leila“, fährt sie fort, da ich sie nur erstaunt
anschaue. „Auch ich studiere in Deutschland. Ich bereite mich
auf die Promotion vor. Zuerst war ich an der Uni in Bir Zeit,
dann in Hamburg.“
„Danach zu beurteilen, wie genau du beobachtest, tippe ich
bei dir auf ein naturwissenschaftliches Fach.“
„Oh, du erstaunst mich“, ihre Augen weiten sich einen
Moment, während sie nachdenklich mit dem rechten Zeigefinger
an der Nase entlang streicht. Dann fasst sie sich schnell
wieder, richtet ihren Oberkörper im Sitz auf, so als wolle sie
ein unangenehmes Thema verlassen und fügt hinzu: „Ich bin
Biologin. Du hast Recht, alles Natürliche ist mir nicht fremd.
Im Übrigen hat man mich in Frankfurt sehr ausführlich, …
wie sagt man, …gefilzt. Erst im letzten Moment konnte ich die
Maschine besteigen.“
„Werden Israelis denn gründlicher gefilzt als Deutsche?“
wundere ich mich, schaue dabei wohl etwas naiv drein.
„Ach, du hältst mich für eine Israelin? Wie schön, dann
wirst du gleich erschrecken, wenn du erfährst, dass du seit
heute Vormittag einer Palästinenserin schöne Augen machst.
Aber ich muss dich enttäuschen, ich beiße trotzdem nicht!“
In der Tat bin ich überrascht. Ich fühle mich zugleich durchschaut.
Die jahrzehntelange, israeltreue Informationspolitik der
deutschen Medien hinterlässt Spuren in Form von Vorurteilen
in unseren Köpfen.
Leila schaut mich ein wenig trotzig, ein wenig fragend von
der Seite an. In Deutschland lebend gehört diese Erfahrung
zu ihrem Alltag. Man gibt sich daher lieber als Ägypterin,
Jordanierin und so weiter aus. Deutsche stellen sich unter dem
Stichwort Palästinenser in der Regel kaum eine europäisch
gekleidete junge Frau mit Charme und Geist vor.
„Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis sich die Verhältnisse
auch für uns Palästinenser bei der Einreise normalisieren.
Jedes Mal nehmen sie mein Gepäck bis in alle Einzelteile
auseinander. Sie haben Angst vor Sprengstoff. Deshalb
befühlen sie sogar die Schmutzwäsche. Heute habe ich die
Frau bei der Einreise gefragt, ob sie wirklich überzeugt ist von
dem, was sie da macht. Sie hat mich angesehen und gesagt:
Don‘t force me to do something against you! Ich bin froh, jetzt
endlich einen eigenen palästinensischen Pass zu haben. Vor
dem Oslo-Abkommen war die Prozedur noch schwieriger.“
Während sie spricht, benutzt sie beide Hände zur Untermalung
des Gesagten. Eine Haarlocke, die ihr über die Wange
rutscht, wischt sie leicht fort. Dann stockt ihr Redefluss plötzlich,
und ihr Blick verliert sich für einen Augenblick in der
Ferne, so als suche sie etwas am Horizont. Auf ihrer Seele lastet
wohl mehr, als sie zu berichten bereit ist.
„Arme Leila“, sage ich sanft und berühre sie leicht am Arm,
„kann ich dir helfen?“ Einen Moment scheint es mir, als wolle
sie ihren Kopf an meine Schulter legen, aber sie fängt sich
schnell wieder und sagt:
„Wir sind jetzt in einer neuen Zeit und alles wird besser
werden. Doch helfen können wir uns nur selbst.“
„Wohin fährst du jetzt, können wir uns in den nächsten
Tagen sehen?“ Ich bin nicht bereit, sie so schnell verschwinden
zu lassen, wie sie in mein Leben trat.
„Ich werde meine Familie besuchen, in der Nähe von
Ramallah. Vielleicht sehen wir uns einmal wieder, aber mach
dir keine falschen Hoffnungen. Mein Leben ist komplizierter,
als du dir vorstellen kannst. Es ist besser, du fragst nicht zu
viel.“
Der Taxifahrer schaut kaum merklich in den Rückspiegel,
wohl nur, weil ein großer Wagen amerikanischen Fabrikats
zum Überholen ansetzt. Den Ben Gurion Airport haben wir
längst hinter uns gelassen, der zähe Großstadtverkehr löst sich
allmählich auf. Die Autobahn windet sich nun in die judäischen
Berge, unser Chauffeur tritt aufs Gaspedal. Ich möchte mehr
erfahren über die Situation im Westjordanland, der Heimat der
Palästinenser, und frage daher direkter:
„Wie stehst du zu den schrecklichen Selbstmordattentaten
auf unschuldige Menschen? Du kannst sie doch unmöglich gut
finden?“
Ein seltsames Lächeln spielt um ihren schönen Mund. Sie
zieht die Lippen zusammen, und es scheint für einen Moment,
als forme sie eine Kuss-Schnute, dann antwortet sie überlegt:
„Terror ist nicht neu in dieser Weltgegend. Wir leben seit
Jahren damit. Doch das, was jetzt Terror genannt wird, drückt
etwas aus. Unsere Jugend steht heute mehr denn je unter
Druck. Sie haben gekämpft und fragen sich nun, wofür.“
„Aber Gewalt ist kein legitimes Mittel der Politik“, wende ich
sofort ein.
„Gewalt ist eine tägliche Realität in unserem Land. Hier geht
es auch nicht um Politik. Hier findet Krieg statt.“
„Diejenigen, die sich selbst in die Luft sprengen, tun alles,
um den Frieden zu verhindern!“ gebe ich zurück.
„Was ist das für ein Frieden, der den einen alles gibt und den
anderen alles nimmt?“
Ich spüre, dass ich noch zu wenig weiß, um mir ein Urteil
erlauben zu können, daher schweige ich.
Aber Leila fährt fort:
„In Palästina werden nach wie vor junge Menschen abgeholt
und gefoltert. Die Brutalität der Besatzer geht weiter! Dabei
haben wir so gehofft, der Frieden würde unsere Lage verbessern.
Aber es gibt überall Sperren. Wenn ich nachher zu meinen
Eltern fahre, muss ich mindestens fünf Kontrollen passieren.
Das Land ist wie ein Schweizer Käse, in A-, B- und C-Gebiete
eingeteilt. Es gibt die A-Gebiete, Großstädte, die schon eine
Teilautonomie haben, die B-Gebiete, ländliche Bereiche, wo
die Zivilverwaltung bei uns liegt, die Kontrolle aber bei den
Israelis, und die C-Gebiete, die noch ganz von den Israelis beherrscht
werden. Nach wie vor ist das ganze Land israelisch
dominiert, und sie können jederzeit die Zugänge abriegeln.“
„Kannst du denn nicht verstehen, dass ein Staat sich gegen
Terrorattacken, die in nur vier Wochen sechzig arglose Zivilisten
töteten und viele andere verletzten, schützen muss?“
greife ich noch einmal meine Frage auf.
„Natürlich haben wir Terroristen, Radikale. Die haben die
Israelis aber auch! Wie du sicher weißt, war der Mörder von
Rabin ein Israeli. Es wird immer Radikale geben, die mit dem
Frieden nicht einverstanden sind, weil sie alles haben wollen
und nicht kompromissbereit sind. Wenn aber zwei, drei Attentate
genügen, um die Verträge ungeschehen zu machen,
dann ist es mit der Friedensfähigkeit nicht so weit her. Sie strafen
unser Volk kollektiv. Ich klage deshalb die Unfähigkeit zu
differenzieren an.“
Leila spricht mit Leidenschaft in der Stimme und wird beständig
lauter. Der Taxifahrer schaut wieder in den Spiegel.
„Die Mehrheit meines Volkes begrüßt den Friedensprozess.
Aber es ist schwer für die jungen Leute, so schnell umzuschalten.
Wir sind in der Intifada, dem Aufstand gegen die
Besatzungsmacht, aufgewachsen. Die Jugendlichen und die
jungen Erwachsenen haben den Hass gegen die Israelis mit der
Muttermilch eingesaugt. Wenn es nicht möglich sein wird, die
Dinge gerade jetzt, wo es um einen wirklichen Frieden gehen
soll, mit kühlem Kopf zu sehen, wird es noch lange kein Leben
in Frieden geben.“
Während dieser flammenden Rede blitzen Leilas Augen
wie Feuer, ihre Wangen erröten. In ihrem letzten Satz jedoch
schwingt Schwermut mit, und sie fügt nach einer Weile hinzu:
„Die Ereignisse der letzten Wochen habe ich als lähmend
empfunden. Ich weiß noch nicht, wie es weitergeht und was
mich zuhause erwartet.“
Eine ganze Weile sitzen wir stumm nebeneinander.
Draußen beginnt es zu dämmern. Die meisten Wagen haben
schon die Scheinwerfer eingeschaltet. Mir scheint, Leila hat
sich mit ihren Worten weiter vorgewagt, als es einem Fremden
gegenüber eigentlich angemessen ist. Sie hat mich ins Vertrauen
gezogen, obwohl, ich spüre es deutlich, ein Geheimnis in ihren
Augen liegt, das zu lüften mir heute nicht gelingt, wenn es
überhaupt je möglich sein wird, darüber zu sprechen.
Wir nähern uns Jerusalem. Linkerhand tauchen bereits die
zahlreichen Wohnburgen auf, Tausende von neuen Heimstätten
für jüdische Immigranten, Lebensraum im Westjordanland.
Hier werden Fakten geschaffen, unumkehrbar, eine künftige,
friedliche Lösung der Siedlungsfrage erschwerend.
„Wo wirst du wohnen?“ fragt Leila nun in die Stille hinein.
„Im Österreichischen Hospiz.“
„Das liegt in der Altstadt, unweit vom Löwentor“, erklärt sie,
„ich werde den Fahrer anweisen, am Tor zu halten.“
„Werden wir uns wiedersehen?“ versuche ich es erneut.
„Das wird sich zeigen, lieber Freund“, entgegnet sie mir mit
pessimistischem Unterton, „ich habe zuerst etwas zu regeln.
Dann weiß ich auch noch nicht, wie die Lage sein wird, ob ich
aus dem autonomen Gebiet wieder herauskomme. Aber wenn
alles so läuft, wie ich es möchte, komme ich dich in spätestens
drei Tagen besuchen. Dann zeige ich dir ein paar arabische
Lokale in der Altstadt. Abgemacht?“ Sie lächelt und versucht
dabei, optimistisch zu klingen. Ich kann nicht widersprechen,
doch fürchte ich, dass alles ganz anders kommen wird.
Am Stephanstor, auch Löwentor genannt, im Ostteil der
Jerusalemer Altstadt, hält unser Wagen an. Leila verweigert
beharrlich, meinen Anteil an den pauschalen Fahrkosten anzunehmen.
Sie weist mir den Weg: „Immer geradeaus bis zur
nächsten Querstraße, dann kannst du deine Herberge rechts
an der Ecke nicht verfehlen.“
Wir drücken zum Abschied wie gute Bekannte Wange an
Wange. Ich fasse dabei ihre Hand, die einen Moment lang
warm in der meinen liegt, streiche ihr die Haarlocke aus der
Stirn, schaue noch einmal tief in die schwarzen Augen, sehe die
Sterne und steige schnell aus, bevor es zu schwer wird.
Der Fahrer reicht mir meinen Koffer, ich winke kurz hinter
dem Wagen her, bevor er in die Straße einbiegt und meinem
Blick entschwindet. Einen Moment stehe ich noch gedankenverloren
auf dem Platz vor dem Tor, bis mich ein kleiner
arabischer Junge wegen eines Almosens antippt, beachte ihn
nicht, nehme vielmehr meinen Koffer auf und gehe den Weg,
den sie mir beschrieb. Der Betteljunge folgt mir.