→ Madeleine

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Gottfried lebt in Paris im 4. Stock hinter dem kleinen Bahnhof von La Garenne Colombes. Er arbeitet als Lieferwagen-Fahrer. Als Jugendlicher ist er nach einer gewaltvollen Kindheit aus seiner Familie nach Paris geflohen.
Seine Vergangenheit mit dem trunksüchtigen Vater spielt weiter eine Rolle, auch wenn er sie vergessen möchte. Er kann niemandem vertrauen. Das wurde ihm zum Verhängnis, als er vor Jahren Madeleine in Biarritz traf. Er liebte sie, aber seine Angst vor der Nähe siegte, und er verließ sie. Seitdem wartet er, dass sie sich meldet. Das einzige Wesen, dem er nahesteht, ist
seine Hündin Rubi.
An einem heißen Sommertag erhält er einen Brief aus der Normandie von dem Vater Madeleines. Sie ist plötzlich aufgebrochen, er hat seit Wochen nichts von ihr gehört. Er bittet Gottfried, ihm zu helfen. Der macht sich mit seinem Hund und den Musikkassetten, die ihn immer begleiten, auf
den Weg zum Vater. Er erzählt ihm von Madeleine und gibt ihm einen Hinweis auf ihre Brieffreundin Victoria, die in England lebt. Gottfried reist der Sehnsucht nach seiner großen Liebe hinterher, nach England, dann nach Belgien…
Andreas Bahlmann knüpft an seinen Roman „Amour bleu“ an. Er versteht es, Gottfried in seiner hingebungsvollen Liebe, seinem Enthusiasmus und seiner Verzweiflung lebendig werden zu lassen und uns durch die unterschiedlichen Landschaften mit ihren historischen Hinterlassenschaften zu führen, immer begleitet von der zur jeweiligen Stimmung passenden Musik.

Andreas Bahlmann
Madeleine
Roman
ISBN 978-3-943446-68-5
Preis: € 19,- D/A/CH
300 Seiten
Softcover

Leseprobe

Ich erreichte die Rue Colbert, überquerte die Straße, band Rubi
am Fuß des Sonnenschirms an und betrat Djamals Magazin.
„Hallo Gottfried, da bist du ja wieder. Warst du spazieren?“
begrüßte mich Djamal hinter dem kleinen Tresen seines
Geschäfts.
„Ja, Rubi brauchte etwas Auslauf. Weit gekommen sind wir
aber nicht, nur bis zur Brücke und dann über die Gleise. Es ist
kein gutes Wetter für einen Hund mit dickem Fell. Rubi liegt
draußen angebunden, ich möchte eben ein paar Dinge bei dir
besorgen, “ antwortete ich.
„Ja, wir Zweibeiner können uns schon glücklich schätzen,
keine Felle mehr zu tragen,“ scherzte Djamal und bot mir seine
Mithilfe an.
„Ruf mich, wenn du was nicht findest oder ich dir etwas aus
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dem Lager holen soll, ja?“
Ich nickte und ging in dem verwinkelten, überall mit Waren
vollgestopften, kleinen Laden auf Entdeckungsrunde.
Ich brauchte etwas Hundefutter und wurde in der Ecke neben
dem Ladeneingang fündig, einem anderen Regal entnahm
ich einen Sechser-Träger Perrier, sowie eine Tüte geröstete
Erdnüsse, eine große Packung Frühstückskekse, dazu etwas
Frischkäse und gesalzene Butter aus dem Kühlregal.
Ich legte die Sachen vor Djamal auf den Tresen und deutete auf
das Regal hinter dem Verkaufstisch: „Gibst du mir noch drei
Schachteln Zigaretten und Streichhölzer?“
Djamal nahm drei Packungen filterlose Gauloises aus dem
Tabakwarenregal und legte sie, zusammen mit den gewünsch-
ten Streichholzpäckchen, zu meinen anderen Einkäufen.
„Brauchst du noch etwas, Gottfried? Vier Stockwerke könnten
bei der Hitze schon mal anstrengend werden, wenn man etwas
vergisst,“ fragte Djamal schmunzelnd.
Sofort dachte ich an die gerade überlebten Strapazen mit dem
vergessenen Briefkastenschlüssel, behielt es aber für mich.
„Danke nein, Djamal, ich glaube, ich habe jetzt alles, was ich
für den Abend und morgen früh brauche,” entgegnete ich und
bat um einen leeren Karton.
„Selbstverständlich, Gottfried,“ sagte Djamal und verschwand
durch den Vorhang ins Lager. Kurz darauf vernahm ich ein
gedämpftes Rumpeln, wenig später kehrte er mit einem stabilen
Obstkarton aus Pappe zurück und reichte ihn mir.
„Der ist perfekt,“ bedankte ich mich und packte meine Sachen
hinein.
„Gerne,“ lächelte Djamal und rechnete die Einkaufsumme zu-
sammen.
„Halt, da ist doch noch etwas … hättest du ein Baguette für
mich?“ fiel es mir noch rechtzeitig ein. Djamal gab mir mit
einem Lächeln eine Brotstange.
„Na … Gottfried, … denk nochmal scharf nach …, “ frotzelte er
in freundschaftlichem Ton.
Aber es blieb bei meinem Kopfschütteln, und ich zählte den
Geldbetrag passend auf den Tresen. Mit einem Nicken zog er
die Kassenschublade unter der Tischplatte hervor und wischte
mit einer Handbewegung das Geld hinein.
Etwas fahrig griff ich nach meinem Karton, „… gut, ich geh dann
mal, Djamal … wir sehen uns …”, ächzte ich beim Anheben wie
ein altersschwacher Greis.
„Warte Gottfried, ich begleite dich noch,“ trat Djamal um
den Tresen herum. Draußen schlug uns das grelle Gegenlicht
der tiefstehenden Sonne entgegen. Ich stellte meinen Karton
ab, entnahm ein Päckchen Gauloises, riss ein Loch in das
Aluminiumpapier neben der Banderole, klopfte einige
Zigaretten hoch und bot Djamal eine an.
„Oh ja, gerne,“ bedankte er sich und gab uns beiden Feuer.
Schweigend standen wir nebeneinander an der Straßenecke
und genossen die ersten Züge.
Ich schaute zu meiner Hündin hinüber und lächelte. Im Schat-
ten unter dem Schirm lag Rubi, lang ausgestreckt wie eine
Schranke, quer auf dem Bürgersteig.
„Dein Hund macht ́s richtig,“ kommentierte Djamal den An-
blick, und ich nickte stumm.
Djamal musterte mich.
„Ist wirklich alles in Ordnung mit dir, Gottfried? Du wirkst
etwas abwesend.”
Ich sah ihn an.
„ … ich werde morgen für ein paar Tage, vielleicht auch länger,
wegfahren. Das hat sich heute ganz unerwartet für mich so er-
geben, Djamal.“ antwortete ich zögerlich.
„Unerwartet ergeben? Was ist passiert, Gottfried?“
Ich hatte Djamals Neugierde geweckt, und da uns im Laufe der
Zeit mittlerweile so etwas wie ein freundschaftliches Verhältnis
verband, erzählte ich ihm von dem Brief und der Einladung in
die Normandie zu Madeleines Vater.
Djamal hörte aufmerksam zu, bis ich meine Erklärungen
beendet hatte, dann sagte er mit sanfter, aber bewegter Stimme:
„Mein lieber Gottfried, ich wünsche dir von ganzem Herzen
Glück, und dass du endlich das findest, wonach du schon so
lange suchst …“
Ergriffen von der Emotionalität seiner eigenen Worte, umfasste
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er mit beiden Händen meine Schultern, drückte sie kurz, aber
herzlich, dann ließ er von mir ab und nahm einen kräftigen
Zug von seiner Zigarette. Djamals Pathos-Einlage war rührend,
zugleich aber so urkomisch, dass ich nur mit Mühe einen
Lachanfall unterdrückte.
„Würdest du mir vielleicht den Gefallen tun und meinem
Vermieter in den nächsten Tagen das Geld für die Miete meiner
Wohnung zukommen lassen? Du kennst doch Monsieur Bar-
got? Er wohnt nur eine Straße weiter, gleich um die Ecke, in der
Rue François Mauriac … und wenn du vielleicht außerdem mal
einen Blick für meinen Briefkasten und meine Wohnung übrig
hättest, während ich weg bin, Djamal?“ bat ich ihn.
„Gerne, kein Problem, Gottfried. Natürlich kenne ich Monsieur
Bargot. Er kauft hin und wieder bei mir ein, und wir haben uns
schon einige Male unterhalten. Wenn ich ihn sehe, werde ich
ihm dein Geld geben. Azzedine wird auch Bescheid wissen, du
kannst dich auf uns verlassen, Gottfried,“ willigte Djamal hilfs-
bereit ein.
„Vielen Dank, Djamal. Ich werde dir morgen früh das Geld und
meine Schlüssel bringen oder beides in einem Briefumschlag
bei dir einwerfen, falls ich sehr früh aufbrechen sollte, ja?“
„In Ordnung, so wie es dir am besten passt, Gottfried. Keine
Sorge, wir kümmern uns schon,“ lächelte er, und wir gaben uns
zum Abschied die Hände.
Dann ging ich zu Rubi, band sie los, und nach einem auf-
munternden „Hopp! Jetzt geht ́s nach Hause, hoch mit dir!”
sprang sie auf, streckte sich ausgiebig und trabte zufrieden
neben mir her bis zur Haustür.
Im Treppenhaus schlug mir eine Vielzahl von Essensgerüchen
entgegen und sorgte auf dem Weg nach oben für zunehmenden
Appetit.
Als ich meine Wohnungstür aufschloss, schlug mir nur zu war-
me, stickige Luft und der abgestandene Geruch von kaltem
Rauch und Kaffee entgegen. Es wurde allmählich Zeit für etwas
Essbares, außer Kaffee und Zigaretten hatte ich den ganzen Tag
noch keine feste Nahrung zu mir genommen, verwarf aber jeg-
liche Anflüge von Hunger.
Ich füllte Rubi etwas Futter in ihren Fressnapf, und danach
durchwühlte ich den Karton mit meinen Musikkassetten.
Mehr als etwas zu essen brauchte ich jetzt unbedingt diese
eine, ganz bestimmte, nur mit Liebesschnulzen bespielte Kas-
sette, denn das entsprach am ehesten meiner innerlich auf-
gewühlten, von sehnsüchtiger Liebe erregten Verfassung. Ich
ließ mich aufs Bett fallen, und Percy Sledge drückte mich mit
seiner schmachtenden Leidenschaft und seiner hohen, durch-
dringenden Stimme … When a man loves a woman … can ́t
keep his mind nothing else … in die Matratze hinein und sorgte
für die Dauer des Liedes dafür, alles Mögliche tun zu wollen,
nur nicht aufzustehen.
Die Schmachtmusik hielt mich in den Kissen gefangen, ich
durchlebte und erlitt, wie in einem Film, Szenen und Bilder
der Erinnerung mit Madeleine.
Und mir wurde klar, es bliebe für mich auf ewig unverzeihlich,
würde ich diese Fahrt zu ihrem Vater nicht wagen und vor die-
ser wahrscheinlich letzten Chance kneifen.
Ich sprang vom Bett auf und stoppte den Kassettenrekorder
gerade noch rechtzeitig, bevor Elvis mit Love me tender den
Herzschmelzpunkt erreicht hatte.
Ich legte Neil Youngs Harvest auf den Plattenteller, die Melodie
wühlte auf, tat aber dennoch gut, und die bildliche Erinnerung
an unsere Begegnung im Waschsalon nahm ein wenig das Weh
von der Wehmut.
Ich kochte mir einen Kaffee und brach mein Baguette in
der Hälfte durch. Dann schnitt ich es auf einer Seite auf und
klappte die Hälften wie Schmetterlingsflügel auseinander.
Ich bestrich beide Deckel mit Frischkäse, streute etwas Salz
darüber und schnitt einige Paprikastreifen darauf, welche ich
noch im Kühlschrank hatte. Ich fügte die Baguette-Hälften
wieder zusammen und genoss den ersten, krachenden Biss in
dieses knusprige Kunstwerk der französischen Brotkultur.
Zufrieden kauend setzte ich mich zu Rubi auf den Fußboden.
Rubi legte ihren Kopf auf mein Bein und genoss abwechselnd
die Streicheleinheiten und die herabfallenden Krümel meines
Baguettes.
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Ich nahm mir vor, am nächsten Morgen möglichst früh zu
starten. Dabei setzte ich auf meine innere Uhr, denn mein
Wecker funktionierte leider nicht.
Günstigerweise hatte ich in den letzten Wochen bei einigen
größeren Kurieraufträgen einigermaßen verdient, was mir für
die nächsten Tage oder vielleicht sogar Wochen ausreichend
Bargeldreserven verschaffte.
Meine innere Aufregung wuchs und erfasste unaufhaltsam
jede meiner Zellen.
Ich brauchte musikalischen Beistand von den Rolling Stones,
zog das Beggars Banquet – Album aus dem Plattenstapel, leg-
te die Scheibe auf den Plattenteller und mich aufs Bett. Bei
Prodigal Son, das die biblische Geschichte vom verlorenen
Sohn in Form eines optimistisch rauen, lebensbejahend unge-
schliffenen und rhythmisch treibenden Country-Blues er-
zählt, spürte ich diese angenehme Kraft, die das Zaudern der
Ängstlichkeit verdrängte und mit Mut zur Neugier füllte, die
Anspannung begann einer kleinen Vorfreude zu weichen.
Mittlerweile hatte die Nacht alles in ihre Dunkelheit getaucht,
aber es fühlte sich trotzdem zu früh und auch zu heiß zum
Schlafengehen an. Eigentlich war ich sehr müde, meine Sinne
jedoch, wegen des bevorstehenden Abenteuers, noch überdreht
wach.
Ich streckte mich unter dem Bett nach meinem Seesack, den
ich dort vor langer Zeit in der hintersten Ecke verstaut hatte.
Mit schmerzhaft gedehntem Rücken und spitzen Fingern be-
kam ich ihn so gerade zu fassen und zog ihn hervor. Er war
über und über verstaubt, ich schlug ihn einmal kurz aus, was
aber keine kluge Idee war, denn sofort lösten die freigesetzten
Staubflocken und Flusen bei mir eine unangenehme, nicht zu
stoppende Serie von krachenden Niesern aus.
Sogar Rubi fuhr erschreckt hoch und trollte sich für eine Weile
aus dem Zimmer.
Als die Nies-Attacken endlich abebbten, begutachtete ich mei-
nen Seesack etwas eingehender; er war noch gut in Schuss,
ich stopfte ein paar Kleidungsstücke, Handtücher und meinen
Schlafsack hinein. Zu guter Letzt packte ich meinen kleinen,
tragbaren Kassettenrekorder oben drauf, um einer möglichen
musikalischen Unterversorgung vorzubeugen.
Es beruhigte mich, auf einige Eventualitäten vorbereitet zu
sein, so lagen im Kofferraum meines Autos ständig „für alle
Fälle“ ein Regencape und ein einfaches Zelt. Es war noch
unbenutzt und in der Original-Verpackung. Ich besorgte es
mir irgendwann, nachdem ich mein altes und Madeleine in
Biarritz zurückgelassen hatte. Ich nahm nicht an, dass Made-
leine damals mein Zelt weiter benutzt hatte, vermutlich stand
es dort immer noch und verrottete einsam vor sich hin. In den
stabilen Pappkarton von Djamal packte ich etwas Kaffee, meine
Zigaretten, Marmelade, Zucker, Salz, Geschirr und Besteck,
den Rest konnte ich mir unterwegs kaufen.
Unentbehrlich war dagegen der Karton mit den Musikkassetten,
daran hing mein Lebensgefühl.
Und dann, wie von Geistern geführt, blieben meine Augen auf
dem immer noch ungeöffneten, fast vergessenen Karton mit
den Erinnerungsstücken meiner Vergangenheit hängen. Es
war so, als ob eine eindringliche Stimme wieder und wieder …
ich muss mit, nimm mich mit … du wirst mich brauchen …!“ rief.
Schließlich gab ich dem inneren Drängen nach, … okay, dann
bin ich mal gespannt, was du zu bieten hast …, sagte ich halblaut
zu mir und kramte den Karton aus der Verbannung in der
Ecke. Aber ich verspürte nicht die geringste Neugier auf den
Inhalt, also blieb der muffig nach altem und vergangenem
Leben riechende Schuhkarton weiterhin verschlossen.
Ich nahm mir lediglich vor, ihn an Ort und Stelle zu haben, falls
es mich überkommen sollte. Auf keinen Fall wollte ich meinen
aufkeimenden Optimismus durch die eisigen Erinnerungen
an den besoffenen Gestank des Alten, seine höhnischen Worte
und ihr keifendes, wollüstiges Gestöhne wieder hinter der
Kältemauer einfrieren lassen.
… I heard the click-clack of your feet on the stairs …, ertönte es
vom Plattenspieler – und nicht nur die ersten Textzeilen des
lustvollen und wilden Stray Cat Blues der Stones passten in
diesem Moment perfekt.
Mein Blick fiel auf die beiden Autoschlüssel am Türrahmen.
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Den Schlüsselbund zierte ein Anhänger aus Kunststoffglas, in
dem ein kleines Foto von einem Moses-Bild steckte. Während
eines Lieferauftrags an einen Geschäftsmann in der Nähe von
Trier hatte ich es gesehen und fotografiert.
Es war ein gewaltiges Ölgemälde in einem goldenen Rahmen,
groß wie ein Schrank. Die Ausstrahlungskraft dieses Riesen-
gemäldes zog mich sofort in seinen Bann. Der eher zufällige
Blick ins Schaufenster einer kleinen Kunsthandlung hatte ihm
dieses außergewöhnliche Bild beschert, erklärte der stolze
Besitzer, … sozusagen im Vorbeigehen …, ergänzte er, dann
erzählte er mir die Geschichte, die sich hinter diesem Monu-
ment aus Ölfarbe und Leinwand verbarg.
Der Künstler, ein talentierter, junger Maler aus dem Nordwesten
Deutschlands, litt – wegen seiner Zukunft – unter einem tiefen
inneren Zwiespalt. Seine streng katholische Erziehung, die stille,
stetige Todesangst vor dem unumgänglich erscheinenden Fege-
feuer appellierte mit lauter Stimme an sein gottesfürchtiges
Gewissen: Werde Priester! Doch sein Herz schlug für die welt-
liche Philosophie, für die Verlockungen der fleischlichen
Liebe und gegen das kirchliche Diktat des katholischen Zöli-
bats. Gepeinigt und zerrissen von inneren Konflikten und
Ängsten, malte sich der Künstler im Selbstbildnis als Moses
im Büßergewand, um Mut für die richtige Entscheidung zu
finden, ein alter Mann mit tief zerfurchtem Gesicht, langem
Bart, zottelig langem Haarkranz und zwei diffus strahlenden
Hörnern, die aus seiner hohen Stirn aufragen. Es ist Nacht
und Moses steht am Hang eines bewaldeten Hügels. Grimmig
betrachtet er in der Ferne das lasterhafte Treiben der biblischen
Menschheit beim lüsternen Tanz ums goldene Kalb, dabei um-
klammert seine rechte Hand mit festem Griff die beiden Tafeln
mit den zehn Geboten Gottes.
Mir gefiel dieses Bild, und ich machte das kleine Foto zu mei-
nem Talisman.
Vom Plattenspieler erklangen die letzten Takte des inbrünstig
beseelten Salt of the Earth, und ich lauschte dem leisen
Knistern und mechanischen Brummen beim Abschwenken
des Tonarms von der schwarzen Vinylscheibe.
Ich schloss die Augen, sah und spürte Madeleine.
Und es war, als ob wir uns, angezogen und erfüllt von Zärt-
lichkeit, Begehren und Liebe, Stück für Stück einander näher-
ten, bis wir uns endlich in die innige Umarmung schmiegten
… so wie damals … im Zelt.
Ich fühlte Madeleine in diesem Augenblick so sehr bei mir,
dass ich glaubte, sie sei da. Ihr süßer Geruch betörte meine
Sinne, ich vergrub mein Gesicht in ihren Haaren und hauchte
schüchterne Küsse auf die leicht salzig schmeckende Haut ihres
zierlichen Halses. Madeleine presste ihren Körper eng an mich
und sie führte mich. Meine Hände umschlossen ihre warmen,
runden Brüste, ich versank voller Verlangen in ihren Augen,
ihren weichen, samtigen Lippen und später in dem ganzen
Rest dieser wunderbaren Frau.
Doch der ganze Rest dieser wunderbaren Frau roch muffig
nach faltiger Bettdecke und verschwitzten Kopfkissen.
Ich drehte mich auf die Seite und wischte einige Tränen bitterer
Enttäuschung aus meinen Augen.
Ich musste Madeleine wiedersehen!
Rubi grunzte schläfrig