→ Regentonne Achterdeck

Regentonne Achterdeck 

Erzählung

ISBN 978-3-943446-72-2
Preis: € 16,-
176 Seiten
Softcover

Erscheinungsdatum: 10.4.2024

Nika bewirbt sich nach dem Abitur für die Arbeit an Deck auf Großer Fahrt. Ende der 80er Jahre stößt sie damit noch auf deutlichen Widerstand in einem von Männern dominierten Beruf. Doch schließlich findet sie ein Schiff und ihren Platz unter überwiegend philippinischen Seeleuten.
Die Welt auf den Meeren und zwischen den Kontinenten wird ihr neuer Alltag. Er wird begleitet von Konflikten und Herausforderungen, aber auch entstehenden Freundschaften und wachsendem Vertrauen. Nikas Bootsmann und der Matrose June werden zu engen Weggefährten, der Maschinist Brandy zum täglichen Widersacher und eine Regentonne auf dem Achterdeck ein Ort des persönlichen Rückzugs. Drei sich ablösende und sehr unterschiedliche deutsche Kapitäne prägen die Stimmung an Bord und hinterlassen ihre individuellen Fußspuren. Aber nicht nur die eigene Mannschaft, auch Hafenarbeiter, Agenten oder Betreiber vom Seemannsclub machen Nikas neue Umgebung aus − bunt, oft skurril, sowohl schroff als auch herzlich.
Auf ihrer Fahrt schreibt Nika sich mit ihrer Brieffreundin Katja, die in Leipzig zeitgleich die politische Bürgerbewegung in der DDR erlebt. Beide Frauen verbindet der Wunsch nach Selbstbestimmung, Aufbruch, Ankommen und Gleichberechtigung.

Leseprobe
Dirk Hansen schaute erst von seinen Akten auf, als sie direkt vor seinem Schreibtisch stand. Vom Alter her, und mit Blick auf die Mappe in ihrer Hand, vermutete er eine Anfrage zu Ausbildungsmöglichkeiten in ihrer Reederei ‚Konrad & Tal‘.
„Bitte, Sie wünschen?“
„Guten Morgen Herr Hansen, ich würde mich gern bewerben und Ihre Kollegin am Empfang meinte, dass Sie dafür zuständig sind.“
Interessiert und bestätigt schob er seine Papiere beiseite. „Das trifft sich gut, wir könnten tatsächlich Unterstützung gebrauchen.“ Er war jetzt ganz bei der Sache und sein Lächeln freundlich. „Unser Sekretariat ist momentan regelmäßig unter-besetzt. Wenn Sie …“
„Tut mir leid, das ist ein Missverständnis. Ich würde gern auf einem Ihrer Schiffe arbeiten.“ Das Gespräch lief nicht ganz nach Wunsch, aber sie benötigten dringend jemanden und die junge Frau suchte schließlich eine Stelle.
„Verstehe, nur haben wir jetzt schon seit einigen Jahren keine Passagierschiffe mehr und brauchen deshalb auch keine Stewardessen. Sie sind nicht ganz auf dem aktuellen Stand der Dinge.“ Das gleiche Lächeln wirkte jetzt dünner, seine Stimme etwas spitz.
„Doch, das weiß ich, und Ihre Frachter sind inzwischen ausgeflaggt. Aber ich möchte ja auch als OS arbeiten, gern würde ich Ihnen …“
„Ordinary Seaman, als Leichtmatrose?“
Sie war erleichtert, dass sich der Knoten zu lösen schien, sah aber gleich darauf, wie sich sein Gesicht verdüsterte.
„Sie kommen hierher, um mich von der Arbeit abzuhalten?“
„Nein! Natürlich nicht. Ich wollte nur fragen …“
„Fräulein, Sie verschwenden meine Zeit!“
„Könnte ich dann vielleicht die Bewerbung einem Ihrer Kol-legen …“
„Nein, das können Sie nicht. Aber dieselbe Tür, durch die Sie hereingekommen sind, führt sie auch wieder raus. Den Weg kennen Sie ja.“
Auf der Straße atmete sie tief durch, holte ihre Liste aus der Hosentasche und strich die vierte Adresse durch.

Jakob Lay, ehemals Kapitän und inzwischen Leiter vom Londoner Personalbüro der Hamburger Reederei ‚Flauer‘, legte den Hörer auf und fragte sich, was er da gerade versprochen hatte. Vor drei Tagen war ihm die Bewerbung einer Abiturientin weitergeleitet worden, die als OS anheuern wollte. Seine Reederei war Frauen gegenüber offen, und er wusste sehr gut, dass das eine Ausnahme war. Offen zumindest gegenüber Anwärterinnen für die Offizierslaufbahn und das waren Einzelfälle. Die Arbeit an Deck und dann noch auf aus-geflaggten Schiffen war etwas anderes. Er musste absagen und hatte zum Telefon gegriffen, um das wenigstens persönlich und freundlich zu tun; er kannte den Ton seiner Kollegen. Jetzt war nach einer halben Stunde das Gespräch völlig anders ausgegangen als vorgesehen. Er schaute nachdenklich aus seinem Bürofenster auf den Londoner Straßenverkehr. Es war weder um romantische Abenteuerlust gegangen, noch waren die Vorstellungen völlig unrealistisch gewesen. Sie wollte ein-fach auf See.
Nicht gerade kräftig gebaut – sie sei nicht kleiner oder schmaler als viele der philippinischen Seeleute und kenne die Aufgaben. Sie wolle wohl Auslandserfahrung machen – dann hätte sie sich gern die Absagen und Sprüche erspart und sich als Au-Pair beworben. Nur unter Männern – das sei wohl derzeit nicht anders möglich, aber deshalb kein Grund, es nicht zu tun. Warum unbedingt Seefahrt – er hätte sich doch als Kapitän vorgestellt, daher vermute sie, aus ähnlichen Gründen wie er selbst. Es seien aber wirtschaftliche Kosten, wenn Sie bei einem Jahresvertrag nach zwei Monaten abbrechen würde – das werde sie nicht, das könne sie ihm versprechen. Ihm waren die Argumente ausgegangen und er erinnerte sich, wie er selbst gegen den Willen seiner Eltern seine Laufbahn ein-geschlagen hatte. Zum Abschluss hatte er sich daher noch die Mutter geben lassen, die das sagte, was er selbst inzwischen dachte. Wer so beharrlich etwas verfolgte, musste wohl seine eigenen Erfahrungen machen und es ausprobieren. Jetzt, da er ein Schiff zugesichert und aufgelegt hatte, war er unsicher, ob das zu spontan gewesen war. Aber sie würde keine andere Möglichkeit bekommen, darauf hätte er sein Kapitänspatent gesetzt. Außerdem liebte er es nun einmal, ab und zu mit seinen Entscheidungen gegen den Strom zu schwimmen.