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Anke Feuchter
Aus Liebe zu Roman
Roman
ISBN 978-3-943446-75-3
€ 19,- D/A/CH
300 Seiten
September 1946 in Baden-Baden, Amalie hat ihre kleine Tochter Nadja zur Betreuung bei Bauern abgegeben und sucht Arbeit. Ihr Mann gilt als vermisst. Ein junger Franzose der Militärregierung vermittelt ihr Arbeit in einem von der Besatzungsmacht requirierten Café. Wenig später wird Amalie seine Geliebte und erträumt sich ein Leben mit Julien, aber der ist verheiratet und kehrt 1947 nach Frankreich zurück. Amalie ist schwanger. Im Oktober kommt Roman zur Welt. Nun muss sie Nadja zu sich holen, doch ist sie mit beiden Kindern und der Arbeit völlig überfordert. Die französische Verwaltung betreibt aktiv die Suche nach Besatzungskindern von französischen Vätern mit deutschen Frauen, um sie zur Adoption nach Frankreich zu holen. Amalie gibt Roman weg und geht mit Nadja ins zerstörte Mannheim, mittellos, ohne Bleibe und Arbeit. Bei einem Schieber verdingt sie sich, bis sie endlich ihre Kusine Margarethe wiederfindet.
In den Jahren darauf arbeitet Amalie sich parallel zur neuen Bundesrepublik langsam nach oben. Aber der Verlust von Roman lässt sie nicht los.
Anke Feuchter beschreibt in ihrem Roman voller Spannung das Leben einer jungen Frau in einer zerstörten Stadt nach dem Krieg, der noch lange nachwirkt.
Leseprobe:
September 1946
Es war einer jener Septembertage, die noch nichts Herbstliches an sich hatten. Müde und verschwitzt lehnte Amalie ihr altes Fahrrad an einen Baum im Kurpark. Ohne Passierschein
für die französische Zone war es richtig gewesen, nur kleine abgelegene Routen zu wählen, deshalb hatte sie aber jetzt für die Fahrt von Malsch nach Baden-Baden statt einer fast vier Stunden gebraucht. Freilich auch, weil sie sich zweimal verfahren hatte. ‚Schnapsidee!‘ hätte ihr Vater zu Amalies Plan gesagt. Früher hatten seine abschätzigen Bemerkungen sie
wütend gemacht. Jetzt tat die Erinnerung weh. Ihr Vater war tot. Im Bombenangriff auf Karlsruhe ums Leben gekommen. Eine Phosphorbombe war auf das Mietshaus gefallen, in dem
ihre Eltern und die jüngere Schwester lebten. Das war vier Jahre her.
Amalie ließ sich auf eine Bank im Schatten einer mächtigen Blutbuche fallen. Sie schloss die Augen und genoss die leichte Kühle, die das violette Blätterdach spendete.
Inständig hoffte sie, dass sie in Baden-Baden Arbeit finden würde. In den letzten Monaten war es fast unmöglich geworden, sich als Tagelöhnerin auf dem Land durchzuschlagen. Davon aber hatte sie gelebt, seitdem auf dem Bauernhof ihrer Schwiegereltern für sie kein Bleiben mehr möglich war. Als die Meldung kam, dass ihr Mann in Russland vermisst wurde, hatte Amalie gespürt, dass sie, sowieso nie warmherzig aufgenommen, nun völlig unerwünscht war. Eines frühen Morgens im März ‘45 war Amalie mit ihrer zweijährigen Tochter geflohen. Jetzt hatte sie Nadja auf einem Weingut in Malsch in Pflege gegeben. „Vous avez un problème?“ Amalie zuckte zusammen und schlug die Augen auf. Vor ihr stand ein schlanker dunkelhaariger Mann, dessen eleganter
Anzug sich von allem abhob, was Amalie in den vergangenen Jahren gesehen hatte. Der Mann erschien ihr so unwirklich, als wäre er direkt von der Leinwand eines Kinos gestiegen. „Non, merci, alles in Ordnung.“ Lächelnd und wie selbstverständlich setzte der Franzose sich neben Amalie auf die Bank. Lässig schlug er die Beine übereinander und zog ein silbernes Zigarettenetui aus der Westentasche seines Anzugs. „Wollen Sie eine?“ Amalie zögerte. Sie rauchte nur selten und wenn, dann nicht in der Öffentlichkeit. Es schickte sich nicht. Oft genug hatte Alfred ihr das eingetrichtert. Andererseits liebte sie es, Französisch zu sprechen. Und wenn es eine Chance gab, irgendwo Arbeit zu finden, dann vielleicht am ehesten bei der Besatzungsmacht. Lange schon hatte Amalie sich danach gesehnt, in einem Umfeld zu sein, in dem der Vorname Nadja nicht als ‚undeutsche Wahl‘
kritisiert, sondern als Hommage an den Dichter André Breton betrachtet würde. Eines, in dem sie ihre Tochter nicht mit dem zweiten Namen auf ‚Lina‘ hätte taufen lassen müssen – einem der beliebtesten Vornamen in Kreisen überzeugter Nazis, und dazu gehörten die Eltern Alfreds genau wie ihr Sohn. „Möchten Sie jetzt eine oder nicht?“ „Excusez-moi!“ Amalie griff nach der ihr angebotenen Zigarette. Der Mann riss ein Streichholz an. „Was machen Sie hier in Baden-Baden?“
Ihre Finger zitterten leicht, als sie sie an die Flamme hielt. Amalie führte die Zigarette zum Mund. Sie atmete den Rauch aus. „Ich suche Arbeit.“ Der Mann nickte. Mit einem weiteren Streichholz zündete er sich nun selbst eine Zigarette an. „Sie sind nicht von hier?“ „Nein. Ich bin gerade angekommen. In der Hoffnung, in Baden-Baden etwas zu finden.“ In feinen Kringeln blies der Mann den Rauch aus. „Ich kann Ihnen vielleicht helfen. Erlauben Sie mir, dass ich mich vorstelle: Julien Lenoir vom Centre de documentation. Sie sprechen Französisch, oder? Jedenfalls haben Sie mir du tac au tac geantwortet.“ Der Ausdruck war Amalie nicht geläufig, zusammenreimen konnte sie sich aber schon, dass er sich wohl auf ihre spontane Reaktion bezog. „Ich habe Romanistik studiert. Ich liebe die französische Sprache und Kultur!“ Lenoir warf die aufgerauchte Zigarette auf den Kiesweg. „Mit viel Kultur kann ich leider nicht dienen. Ich denke an Arbeit in einer Konditorei.“ „Und Sie meinen, die würden mich nehmen?“ Hektisch zog Amalie ein letztes Mal an ihrer Zigarette. Die Kippe wie Lenoir einfach auf den Weg zu werfen, erschien ihr ungehörig. So hielt sie ungelenk den noch glühenden Stummel zwischen den Fingern. „Jemanden so Nettes wie Sie nimmt man doch überall mit Kusshand!“ Amalie schaute zu Boden. Seit Jahren hatte sie kein Kompliment mehr bekommen. Nun warf sie doch den Rest ihrer Zigarette auf den Weg und versuchte, ihn unter einigen mit der Fußspitze darüber gescharrten Kieselsteinen zu verbergen. „Wo kann ich mich vorstellen?“ Lenoir stand auf. „Ich bring Sie hin. Ich wohn im selben Haus.“ Amalie sprang von der Bank und zog so gut es ging ihren vom Fahren verknitterten Rock glatt. Schnell holte sie ihr Fahrrad, in dessen Satteltaschen sich das Wenige befand, was sie an Kleidung besaß. Es ohne Aufsicht im Park stehen zu lassen kam nicht in Frage. Wie selbstverständlich nahm Lenoir ihr den Lenker aus der Hand. Amalie betrachtete sein Profil. Er hatte eine zu große Nase für sein schmales Gesicht. Gleichzeitig gab ihm das etwas Markantes. Es fühlte sich seltsam an, durch vom Krieg nahezu unberührte Straßen zu gehen. Geradezu betörend war es, in Begleitung eines Mannes zu sein, den Amalie auf Mitte dreißig schätzte, also nur einige Jahre älter als sie selbst. In den vergangenen Jahren war das nicht oft vorgekommen. „Da wären wir!“ Amalies Herz klopfte heftig.
„Nur eines noch muss ich Ihnen sagen.“ Wieder lächelte Lenoir sein leicht ironisches Lächeln. Einer seiner seitlichen Schneidezähne stand ein bisschen vor. „Das Zabler ist von uns requiriert. Verstehen Sie?“ Amalie zog die Brauen hoch und schüttelte den Kopf. „Sie können hier nicht als deutsches Fräulein arbeiten. Deshalb sind Sie, bist du, ab sofort meine Kusine Camille aus Stiring-
Wendel.“ Abrupt blieb Amalie stehen. „Ich habe keine Ahnung, wo das ist.“ Amüsiert erklärte Lenoir Amalie den offenbar in Windeseile von ihm geschmiedeten Plan. „Nicht sehr weit von der Grenze. Das kann erklären, warum du einen leichten Akzent hast. Und warum dir manchmal der
Name eines Gebäckstücks nicht sofort einfällt. Das kommt dann eben daher, dass es in Lothringen anders heißt …“ Amalie holte tief Luft. Jetzt hätte sie gut noch eine von Lenoirs Zigaretten brauchen können. Worauf ließ sie sich bei dieser waghalsigen Komödie ein? Sie gingen um eine letzte Straßenecke, dann standen sie vor dem Café, auf dessen Gartenterrasse einige Gäste in der Herbstsonne saßen. Melodisch klingelte das Glöckchen der Ladentür, als Julien sie schwungvoll öffnete und Amalie sanft in den Verkaufsraum schob. „Bonjour, Odile. Stellen Sie sich vor, wie ich aus allen Wolken gefallen bin, als plötzlich meine Kusine Camille aus Lothringen vor meinem Schreibtisch stand. Die junge Frau sucht Arbeit. Und davon haben Sie doch genug, nicht wahr?“ Die Chefin kam hinter der Verkaufstheke hervor. Nicht größer als Amalie wog sie mit Sicherheit das Doppelte, eng saß ihr schwarzes Kostüm über den Hüften und auch die Bluse spannte leicht über ihren drallen Oberarmen. Sie zog die mit Konturenstift hervorgehobenen Brauen in die Höhe, dann ließ sie ihren prüfenden Blick über die angebliche Kusine wandern. Amalies Herz ging schneller. Verstohlen schaute sie sich im Laden um. Was hier alles in der Auslage angeboten wurde! Kuchen, Törtchen, Croissants, feine Sandwiches … Und wie herrlich es nach Kaffee roch. Odile schnalzte mit der Zunge. „Wie schön für Sie, lieber Julien, dass Sie auch mal etwas Familie um sich haben!“ Dann wandte sich die Chefin an Amalie. „Und nun zu Ihnen. Haben Sie schon einmal in einem Café gearbeitet?“